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Die populärste Frau darf nicht kandidieren

In Indonesien ist der Wahlkampf am Wochenende zu Ende gegangen. Traditionell ist er Anlaß zu Klamauk und Krach. Am Wahlsieg der Regierungspartei „Golkar“ aber gibt es nichts zu rütteln  ■ Aus Yogyakarta Jutta Lietsch

Es ist acht Uhr abends. Besucher biegen an einem Gänsepfuhl vorbei in einen dunklen Garten, der wie ein Park inmitten von schlichten Häuschen im Viertel Pasar Minggu von Jakarta liegt. SchülerInnen in roten T-Shirts, junge Familien in Sonntagskleidern, alte Männer mit schwarzsamtenem Käppi und Frauen im bunten Sarong wandern zur Villa am Ende des Kiesweges. Vor der Terrasse ist ein blau-weißes Zeltdach aufgebaut, darunter stehen weiße Plastikstühle. Dutzende Ankömmlinge haben sich auf Strohmatten niedergelassen, in der Hand einen Teller mit Gemüsereis oder ein Glas Wasser. Andere schlendern umher, plaudern, rauchen. „Warten Sie nur, sie wird bald kommen“, sagt eine zierliche Frau von etwa fünfzig Jahren, die mit dem Auto aus der rund 600 Kilometer entfernten Stadt Solo eingetroffen ist und deren Augen vor Müdigkeit schmal sind. „Sie hat versprochen, zu uns zu reden.“

Alles wartet auf die Gastgeberin Sukarnoputri

Das Gartenfest entpuppt sich als politische Veranstaltung – die in keiner Zeitung angekündigt werden darf: Denn der Politikerin Magawati Sukarnoputri ist es verboten, an den indonesischen Parlamentswahlen am 29. Mai teilzunehmen. Sie steht deshalb nicht auf der Kandidatenliste. Nach Ansicht der Regierung ist sie nämlich nicht mehr Chefin der „Demokratischen Partei Indonesiens“ (PDI), nachdem Präsident Suharto sie im vorigen Jahr auf einem manipulierten Parteikongreß stürzen ließ. Seitdem ist ihr Haus in der Kebagusan- Straße Hauptquartier der Mega- Fraktion in der PDI und Wallfahrtsort zugleich. Jeden Tag strömen Sympathisanten aus dem ganzen Land herbei. Sie sind verwirrt, weil sie nun nicht wissen, wen sie wählen sollen: die regierungstreue PDI-Fraktion unter dem neuen Vorsitzenden von Regierungs Gnaden, die muslimische „Vereinigte Entwicklungspartei“ (PPP) oder gar die Massenorganisation der Regierung „Golkar“? Oder ist es sinnvoller, die ganze Angelegenheit zu boykottieren, wo doch ohnehin der Sieg der Golkar feststeht?

„Mega wird uns sagen, wie wir uns verhalten sollen“, sagt die Besucherin aus Solo, die sich als Leiterin einer PDI-Gruppe in der zentraljavanischen Stadt vorstellt. Um neun Uhr tritt die Gastgeberin schließlich vor die Tür. Ihre Anhänger, fordert sie, sollten Disziplin bewahren und sich nicht am Wahlkampf der eigenen Partei beteiligen. Ein junger Mann, der sich als „Zeremonienmeister“ bezeichnet, drängt sich hinter die Politikerin und beginnt: „Mega! Mega!“ zu skandieren. Die Menge fällt begeistert ein. Eine knappe Viertelstunde dauert ihre Rede, in der das Wort „Disziplin“ häufig vorkommt. Kaum beendet Megawati ihre Rede, drängen sich die Leute um die Politikerin, die in dem Pulk fast verschwindet: Jeder versucht, ihr die Hände zu küssen und sich mit ihr fotografieren zu lassen.

„Sie hat gesagt, wir sollen zu Hause bleiben und uns ruhig verhalten“, sagt die Besucherin, bevor sie wieder in ihr Auto steigt. „Gut, dann verhalten wir uns ruhig.“ In diesen Tagen zeigt sich, daß die an den Rand gedrängte Megawati nach wie vor ein Faktor in der Politik Indonesiens ist: Sie bringt das eingefahrene Ritual der Wahlen durcheinander. Anstatt sich, wie von der Regierung erwartet, widerspruchslos in ihr Schicksal zu fügen, benimmt sie sich, als ob sie nur den günstigen Moment abwarte, ganz vorne auf der politischen Bühne zu stehen. Ihr von oben eingesetzter Nachfolger hat so wenig Zulauf bei den Kundgebungen, daß seine Mitarbeiter aus lauter Verzweiflung Kinder und Soldaten von der Straße holen und sie in die roten T-Shirts der Partei hüllen, um den Platz vor dem Podium zu füllen. Auch seine knackige Kritik am „feudalistischen System“ Indonesiens bringt ihm nicht mehr Sympathien.

Am Nachmittag im Stadtzentrum von Yogyakarta auf Zentraljava: In der Nähe des Sultanspalastes sammeln sich Tausende Anhänger der Entwicklungspartei PPP zur – eigentlich verbotenen – Motorrad-Kundgebung. Sie sind weithin erkennbar an den grünen Fähnchen, T-Shirts und Tüchern ihrer Partei. Manche haben Gesicht und Haare grasgrün getüncht und offensichtlich großen Spaß: Rhythmisch lassen sie die Motoren ihrer Maschinen aufheulen und springen auf den Sitzen auf und ab, viele haben die Auspuffe abgeschraubt. Vielen geht es hier weniger um Politik: Sie wollen sich die nur alle fünf Jahre wiederkehrende Gelegenheit nicht entgehen lassen, in einer großen Menge unter den Augen der Polizei Verbote zu ignorieren. Dazwischen mengen sich auch Anhänger von Megawati.

Manche haben sich „Mega“ aufs Stirnband gepinselt – trotz Verbots der Regierung, Namen oder Fotos der Politikerin zu zeigen. Doch die Polizisten mit ihren langen Bambusknüppeln scheren sich nicht um diese Verstöße, sondern scheinen froh, daß die aufgeheizte Menge nicht zu randalieren beginnt, wie sie es in den letzten Tagen in vielen Städten Indonesiens tat. Hinter den Polizisten stehen für alle Fälle Soldaten, die Maschinengewehre über die Schulter gehängt. „Allah ist groß!“ ruft der PPP-Redner. Seine Partei, die laut Programm „muslimische Werte in der indonesischen Politik stärken“ will, unterscheidet sich sonst politisch wenig von den anderen – selbst wenn sie wollte, könnte sie es gar nicht.

Unter der scharfen Kontrolle der Regierung ist der Spielraum für eigenes Profil gering. Den nutzt sie allerdings bis zur Grenze aus. Sie wettert gegen Korruption, Vetternwirtschaft, die soziale Ungerechtigkeit. Dabei benötigt der PPP-Mann im grünen Jackett nur wenige Stichworte, um die Menge für sich einzunehmen.

Die „Busang-Goldminen“ zum Beispiel: Hat nicht der Präsidentensohn Sigit bei der kanadischen Firma Bre-X 40 Millionen Dollar abkassiert, obwohl die Angelegenheit ein Riesenschwindel war? Oder das Nationalauto „Timor“, das der jüngste Sohn des Präsidenten in Südkorea bauen läßt und dafür vom Herrn Papa großzügige Steuernachlässe erhält. Oder die junge Arbeiterführerin Marsinah, deren Tod die Behörden nicht aufgeklärt haben, weil sie womöglich selbst an der Tat beteiligt waren: „Wir werden Marsinah nicht vergessen.“

Doch nach einer Stunde ist die Aufmerksamkeit des Publikums erschöpft. Die Motoren heulen auffordernd, jetzt folgt der für viele wirklich interessante Teil der „Kampanye“: Sie werden bis abends durch die Straßen rasen und den Verkehr lahmlegen. Kinder, Frauen und Alte versammeln sich auf den Bürgersteigen, um das ohrenbetäubende Spektakel halb angeregt, halb erschreckt, zu beobachten. Eine Frau formt ihre Hand zum Zeichen der Megawati-Anhänger: drei Finger in die Luft, Zeigefinger und Daumen zu einem Kreis aneinandergelegt. Dieser Abend verläuft halbwegs glimpflich – im Gegensatz zu Kundgebungen in anderen Städten, wo Kinder und Jugendliche mit Motorrädern zusammenstießen oder von den Dächern der Lastwagen fielen und überfahren wurden. PPP-Heißköpfe werfen lediglich Steine auf Golkar-Büros und auf mit den gelben Fähnchen der regierenden Golkar dekorierte Autos, die sich in die Nähe eines von der PPP beherrschten Stadtviertels wagen. Dies ist nicht nur Lust am Radau.

Wie in der alten Sultansstadt Yogyakarta schwelt im ganzen Land die Wut über die „tiefe Kluft zwischen den Armen und Reichen“, stellte das Zentrum für Strategische und Internationale Studien kÜrzlich in Jakarta fest. Die Tage des Wahlkampfes sind deshalb Gelegenheit, dem Zorn gegen die Golkar Luft zu machen. In der Nähe des Sultanspalastes wehen über Tausenden Dächern die grünen Fahnen der PPP, die Hauswände sind mit grünen Plakaten und Parolen zugeklebt. „Wenn Golkar-Leute sich hierherwagen, können sie auch gleich in einen Krokodilsteich springen“, sagt ein Bewohner, der vom Abendgebet aus der Moschee kommt.

Die Mittelschicht ist der Herrschaft der Clans müde

In einem klimagekühlten Büro mit dunklen klassischen Ledermöbeln im Zentrum von Jakarta sitzt ein junger zorniger Geschäftsmann, der seinen Namen nicht nennen will. Er gehört nicht zu der Masse der Unzufriedenen, die mit einem Mindestlohn von drei Mark am Tag über die Runden kommen müssen. Der Manager ist in Amerika ausgebildet, sein Anzug maßgeschneidert. Wenn er nach Hause kommt, springt er in den Swimmingpool. Er repräsentiert die wachsende Mittelschicht, die die Clans und die Rechtlosigkeit im Lande leid sind. „Wissen Sie“, fragt er, „was die Wahlen in Indonesien von denen in anderen Ländern unterscheidet?“ Die Antwort gibt er gleich selbst: „Bei uns bekämpfen sich Leute untereinander – um dann schließlich die selbe Person zu wählen.“

Er hat keinerlei Illusionen, daß sich etwas im Lande ändern wird: Das Parlament sei zahnlos und die Macht des seit dreißig Jahren absolut herrschenden Suharto trotz wachsender Unzufriedenheit bislang ungefährdet. Dennoch verteidigt er die Haltung Megawatis, die ihre Anhänger zu Geduld und Disziplin aufruft: „Es wäre leicht, das Boot zum Kentern zu bringen. Doch dies würde zu einem Blutbad führen. Und was wäre dadurch gewonnen?“ Die einzige Waffe der Opposition sei jetzt die Zeit, tröstet er sich. Schließlich ist Suharto schon 75 Jahre alt. Und Megawati „ist mit ihren fünfzig Jahren noch eine junge Frau“. Selbst wenn Suharto im nächsten Jahr zum siebten Mal Präsident werde, sei der Wechsel nicht mehr aufzuhalten: „Die Frucht hängt überreif im Baum. Wenn der Wind stark ist, wird sie herunterfallen. Wir brauchen nicht zu schütteln.“

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