Breitensport auf schmalen Reifen

Für die 3.000 Mitglieder des Berliner Radsportverbandes hat sich auf Straße und Bahn viel verändert  ■ Von Martin Kaluza

Sonntag morgen, ein S-Bahnhof irgendwo im Großraum Berlin, Startkartenausgabe. Hier und da wird noch der Reifendruck geprüft, an Schutzblechen gewackelt und der Helm zurechtgerückt. Zwanzigmal im Jahr setzt sich allein in der Region ein Troß von hundert bis zweihundert organisierten Radtourenfahrern ohne Startschuß in Bewegung – denn die Zeit wird nicht gestoppt. Zu Mauerzeiten radelte man in West-Berlin noch mit Polizeibegleitung durch das Stadtgebiet, inzwischen führen die meisten Routen ins Brandenburgische Umland.

Wer will, fährt die vollen 150 Kilometer durch. Wem nicht danach ist, kann schon ab 40 Kilometer aussteigen. Je nach Streckenlänge bekommt er oder sie auf der Startkarte eine Punktzahl gutgeschrieben, die am Saisonende mit denen der anderen Touren zusammengerechnet wird.

Was zunächst nach gemütlichem Wochenendgeradel aussieht, läppert sich zusammen. Friedrich Wellner, Fachwart für Breitensport beim Berliner Radsport Verband (BRV), zitiert aus seiner Statistik: „Im letzten Jahr waren 250 Leute in der Wertung. Im Schnitt ist jeder von denen 3.100 Kilometer gefahren. Der Punktbeste lag sogar bei 16.000.“ Deswegen spricht er auch von „leistungsbezogenem Wanderfahren“.

Passionierte Radler fahren jedes Wochenende bis zu zwei Touren, und das nicht allein in Berlin. Touren, die im restlichen Bundesgebiet oder gar im Ausland gefahren werden, werden selbstverständlich mitgewertet. Dabei kommt man rum. Der jeweils gastgebende Verband sucht die schönsten Strecken aus, auf die man als einzelner Pedaltreter nicht unbedingt kommen würde. Wellner: „Wer glaubt zum Beispiel, daß man in Bitterfeld wunderschön radfahren kann?“

Vor allem spreche diese Radsportart „ältere Semester“ an, die TeilnehmerInnen seien in der Regel zwischen 35 und 65 Jahre alt: „Die jungen Leute wollen natürlich lieber auf Zeit fahren.“

Fast die Hälfte der im BRV organisierten Radsportvereine hat eine besondere Jugendabteilung, in fünf Vereinen fahren Mädchen und Frauen für sich. Die insgesamt 3.000 Mitglieder widmen sich außer den Touren und Rennen auch dem Kunstfahren, Mountain-Biking und sogar Radball.

Obwohl das Straßenrennen zu den beliebtesten Radsportarten zählt, stehen dafür in Berlin keine Strecken mehr zur Verfügung. Zumindest im Westteil der Stadt war das vor dem Fall der Mauer noch anders: Rennen wurden am Wannsee oder auf dem Rundkurs an den Havelbergen gefahren. Daß diese Strecken nicht mehr genehmigt werden, liege nicht zuletzt an der Grantigkeit einiger Anlieger, erklärt Monika Barleben, seit 26 Jahren Leiterin der Geschäftsstelle des BRV: „Einen Wirtshausbesitzer störten die Absperrungen.“ Obwohl sein Grundstück noch erreichbar war, versuchte er sogar, Rennveranstaltungen per einstweiliger Verfügung zu stoppen. Solchem Ärger gehen die Berliner Straßenfahrer inzwischen aus dem Weg, indem sie mit den Gleichgesinnten aus Brandenburg zusammen fahren, bei getrennter Wertung. Jetzt müßten die Sportler zwar längere Anfahrtswege zu den Wettbewerben zurücklegen, aber daran gewöhne man sich schließlich. Barleben: „Bayerische Radler müssen bei ihren Landesmeisterschaften schließlich noch viel weiter anreisen.“

Wer lieber im Kreis fährt, hat es in Berlin besonders schwer. Bahnradfahren findet als Breitensport kaum noch statt, aus Mangel an Bahnen. Die bestehenden Bahnen in Schöneberg und Weißensee sind reparaturbedürftig und derzeit stillgelegt. Die zuständigen Bezirksämter wollen die Kosten für Ausbesserungen (in Schöneberg etwa 40.000 Mark) nicht mehr übernehmen und vertrösten die Vereine: Demnächst hätten sie ja das Velodrom.

Prinzipiell sei das „zwar schön gedacht“, so Barleben. Im Moment zumindest hätten die Bahnradsportler überhaupt keine Bahn. Denn zum einen werde das Velodrom erst zum 1. August offiziell eröffnet. Zum anderen wird befürchtet, daß die Trainingstermine der Radsportler lukrativen Veranstaltungen wie Eislaufrevuen weichen müßten. Top-Veranstaltungen wie die Europameisterschaft im Herbst seien aber fest zugesagt.

Um sinnvoll zu arbeiten, bräuchten die Vereine zwischen 100 und 150 Trainings- und Veranstaltungstage im Jahr. Obwohl die genauen Termine noch nicht stehen, hat die Senatsverwaltung grünes Licht für 100 Radsporttage in mehreren Blöcken gegeben, die gründliches Training gewährleisten sollen.

Für die Nutzung des Velodroms wird der Senat den Betreibern Millionen überweisen. Zeidler: „Ein geringer Teil dieser Summen würde schon ausreichen, um die Holzbahn in Schöneberg für Trainingszwecke und Rennveranstaltungen in Ordnung zu bringen.“ Bahnfachwart Walter Gebhardt möchte solche Aussagen allerdings ins rechte Licht gerückt wissen: „Wir sind froh, daß wir das Velodrom haben und dort auch wetterunabhängig fahren können. Wenn wir uns auf die alten Bahnen zurückziehen, verlieren wir das Velodrom.“ Für ihn wäre es die Ideallösung, zusätzlich zu den hundert Velodromtagen die Weißenseer Bahn instandzusetzen, damit die Radler auch auf einer Zementbahn trainieren können.

Radtourenfahren: Friedrich Wellner, c/o Berliner Bären e.V., Tel. 49978650

Berliner Radsport Verband: Tel. 7811722, Di/Do 9–12.30 Uhr und 14–18.30 Uhr, Fr 9–12.30 Uhr

Siehe auch Artikel auf Seite 34