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■ Zu Gast beim Niederländischen KartoffelbüroKoch sie mehlig, koch sie fest!

Kartoffeln. Und was fällt dem Volksmund dazu als allererstes ein? – Ja, genau das: ein gewichtiger Superlativ und geistig minderbemittelte Agrarier. Das ist nicht schön für die armen Knollen. Und unverdient dazu. Dachte jedenfalls das Niederländische Kartoffelbüro NIVAA und startete zur PR-Offensive, um die unprätentiösen Nachtschattengewächse von ihrem ebenso landläufigen wie muffigen Salzkartoffelkeller-Image zu erlösen und dem undifferenzierten Volksmund ein für allemal das vorlaute Maul zu stopfen.

Zu diesem Zweck waren die Niederländische Kartoffel-Promoter extra in die deutsche Hauptstadt gereist, wo sie die komplette Berliner Lokalpresse zum Auftakt der „NIVAA Gourmetworkshop- Tour '97“ (den die Non-Profit-Kartoffel-Organisation selbst der Einfachheit halber schlicht „Gourmet- Workshop“ nannte) in den hauptstädtischen Provinzbezirk Waidmannslust geladen hatten. Gekommen waren ins gehobene Mittelstand-Ambiente von „Rockendorfs Restaurant“, einem Etablissement für die gestellbegeisterte Opernabo- & Messingtürknauf- Klientel – außer Katja Hüning (NIVAA-Büro Deutschland) und Willy A. Kreeftenberg (NIVAA Holland) – allerdings nur eine bayerischstämmige Praktikantin vom Anzeigenblatt Berlin-Mitte und (eigentlich als stiller Beobachter) ich.

Doch zu beobachten gab es nicht viel. Dafür aber zu essen. Das von „Berlins wohl bekanntestem Spitzenkoch“ Siegfried Rockendorf „eigens kreierte Kartoffel- Menü“ nämlich, bestehend aus Kartoffelterrine, Kartoffelsalat, Kartoffelstrudel, Kartoffelkruste, Kartoffelknödel und Grappakartoffel – je nach Gang mal auf Brunnenkresseschaum, mal mit Pesto, in Blätterteig, an Mispelragout (und was die Cuisine an präpositionalen Verortungen noch so alles möglich macht).

Und derweil sich im Magen die zu den Kartoffelvariationen gereichten Sättigungsbeilagen wie Krebsschwänzchen, Atlantik- Hummer, Frühlingsmorcheln, Stangenspargel, Gänseleber, Lammrücken usw. breitmachten, erfuhr man in heiter gezwungenem Small talk mit den beiden freundlichen NIVAArianern manch wissenswertes Gemeingut über die Kartoffel: daß es deutsche und niederländische Kartoffeln gibt beispielsweise und daß man unterscheidet zwischen mehligkochenden Kartoffen, die mehligkochen, festkochenden, die festkochen und vorwiegend festkochenden, die je nach Garzeit wahlweise mehlig- oder festkochen.

Der ostdeutsche Deutsche kocht übrigens vorwiegend mehlig, der westdeutsche vorwiegend fest, und die wohl bekannteste Kartoffelsorte ist mehligkochend und heißt Bintje (benannt nach der Lieblingsschülerin des Grundschullehrers und Kartoffelzüchteramateurs de Vries), eine andere Nicola (Ursprung dunkel).

Zu kaufen gibt es die Kartoffel in großen Kartoffelsäcken und in kleineren, es gibt sie im Papier- oder Folienbeutel, im Baumwollnetz und Poly-Gewebe-Säckchen, und man kann sie auch lose kaufen. Es gibt Kartoffelzüchter und Kartoffelmessen, Kartoffelmüdigkeit und (als Kartoffelmüdigkeitsverursacher) eklige Kartoffelzystenälchen, und es gibt NIVAA, das Niederländische Kartoffelbüro, Den Haag/Mülheim an der Ruhr.

Außerdem gab das Kartoffel- Event für den Rest des Tages ein flaues Gefühl in der Magengegend. Und die Kartoffel wurde fürs erste vom Einkaufszettel gestrichen. Christoph Schultheis

(Weitere kostenlose, interessant- informative Kartoffelinformationen und die kostenlose Kartoffelbroschüre „Antworten auf Verbraucherfragen“ gibt es unter 0208/48 02 07 bzw. 0031/703 65 28 30.)

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