Waigel im goldenen Nebel

■ Weiter unklare Neubewertung des Bundesbankschatzes. Experte: Länder können Anteil verlangen. Industrie unzufrieden über Art und Timing des Konflikts

Berlin (taz/dpa/rtr) – Wozu der umfangreiche Regierungsapparat in Bonn fähig ist, wurde gestern wieder eindrucksvoll demonstriert: Sprecher, Parteichefs und Bundestagsabgeordnete äußerten sich alle gleichzeitig zu Theo Waigel und der Neubewertung der Goldreserven der Bundesbank. Und die Wirkung war wie gewünscht, die Verwirrung komplett. „Es ist nur ein Streit über den Zeitpunkt, nicht über die Neubewertung an sich“, ließen CDU-Generalsekretär Peter Hintze und Regierungssprecher Peter Haussmann unisono verlauten.

Der CDU-Verteidigungspolitiker Jürgen Augustinowitz hingegen kündigte gestern als erster Abgeordneter der Regierungskoalition an, die Bundesbank zu unterstützen: „Ich werde im Deutschen Bundestag keine Entscheidung mittragen, die die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank beeinträchtigt“, so der MdB.

Für „äußerst unglücklich“ hält die FDP das Timing von Theo Waigel: Kaum mußte der Finanzminister die neue Steuerschätzung mit weiteren 18 Milliarden Mark minus anerkennen, geht er an die Goldreserven der Bundesbank. Aber die Neubewertung der Reserven an sich findet FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms „nicht der Aufregung wert“. Welcher Anteil des Goldes neu bewertet wird, ist weiterhin nicht bekannt. Sprecher Haussmann ließ sich gestern nur entlocken, daß die Regierung „an einen Buchungswert von 60 Prozent des Marktwertes denkt“.

Der Frankfurter Professor Wilhelm Hankel empfahl den Bundesländern, sich bei Waigel zu melden, wenn die Goldbestände nicht länger tabu seien: „Sollte Waigel sich darüber hinwegsetzen, dann kann ich den Ländern nur empfehlen, sich ihren Teil des Gewinns zu holen. Das stünde ihnen nämlich zu.“

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat Waigel und Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer aufgefordert, sich über Umfang und Zeitpunkt der Neubewertung der Goldreserven zu einigen. In der Neuen Osnabrücker Zeitung äußerte BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel Unbehagen über die geplante Höherbewertung der Reserven und eine zusätzliche Abführung von 20 Milliarden Mark. Dies zeuge, ebenso wie die plötzliche Entscheidung, weitere Telekom-Aktien zu verkaufen, von politischer Hektik. „Als Unternehmer käme ich nie auf die Idee, Lagerware, die im Wert gestiegen ist, neu zu bewerten und die Differenz zum Einkaufspreis an die Aktionäre auszuschütten“, sagte Henkel. Gleichwohl könne man weder auf Waigel noch auf Tietmeyer verzichten. rem