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Berliner Lärm um nichts

■ Der Fall eines Parlamentspräsidenten mit wenig Geschick und viel Sitzfleisch

Berlin (taz) – Am Schluß hatte es sogar den zahmen Berliner Sozialdemokraten gereicht: ein Parlamentspräsident, der am Holocaust-Gedenktag Täter und Opfer am liebsten gemeinsam ehren will; ein Parlamentspräsident, der den Chef der italienischen Neofaschisten, Gianfranco Fini, erst ein- und dann wieder auslädt; ein Politiker, der Bäume fällt, wenn sie unerwünscht Laub fallen lassen; zudem einer, der seine getreuen Mitarbeiter im Berliner Abgeordnetenhaus auch gegen den erklärten Willen des Präsidiums in eine höhere Gehaltsstufe hebt.

So ein Mann als höchster Repräsentant des Berliner Parlaments war einfach untragbar. Am späten Donnerstag abend forderten kaum überraschend die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS den amtierenden Parlamentspräsidenten Herwig Haase (CDU) zum Rücktritt auf. Dessen Partei tobte. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky beschwor gar „Magdedeburger Verhältnisse“. Wütend legte der Christdemokrat sogleich dem Koalitionspartner SPD nahe, „auch konsequent“ ihre Senatoren aus dem Senat zurückzuziehen. Und „vor laufenden Fernsehkameras, gemeinsam mit den Kommunisten“, solle sie „einstimmig“ gegen den Parlamentspräsidenten votieren. Jedenfalls zog er mit seiner Fraktion beleidigt aus dem Plenarsaal des Preußischen Landtags aus und provozierte damit, so war sich der Berliner Blätterwald am Freitag weitgehend einig, einen Eklat im Großen Koalitionsalltag der Hauptstadt.

Doch ist es wirklich eine Koalitionskrise – oder doch nur ein Sturm im Wasserglas? Den ganzen Tag über schon fuhren die Christdemokraten während der Routinesitzung des Abgeordnetenhauses verbale Geschütze auf: „Einzigartiger Sündenfall“, kommentierte Dieter Hapel, rechter Flügelstürmer der Berliner CDU, die Bereitschaft der SPD, dem Parlamentspräsidenten das Vertrauen zu entziehen. Volker Liepelt, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, warnte: „Die SPD ist offenbar auf dem Weg, die Koalition früher zu beenden.“

Doch die CDU wisse, was die Wählerschaft von ihr erwartet, und stelle sich weiter ihre Verantwortung, betonte zugleich Landowsky. Auch wenn anderswo das Verhalten des Koalitionspartners SPD zum Ende der Koalition geführt hätte, in Berlin sei die Lage zu angespannt. Wie Klaus Landowsky hatte auch sein SPD- Kollege, Fraktionschef Klaus Böger, versichert: „Das ist keine Koalitionsfrage.“

Sonst wäre das Ergebnis wohl auch anders ausgefallen. Denn an Koalitionsfragen trauen sich die Sozialdemokraten in Berlin nicht ran. Da können CDU-Senatoren ihr politisches Motto: „Sparen sollen ruhig die anderen“ offen vertreten. Da kann die CDU-Fraktion den dringlichen Verkauf des Landesenergieversorgers Bewag mit national angehauchter Rhetorik (Verkauf nur an eine deutsche Gesellschaft!) begleiten – die SPD würde all dies nie dazu nutzen, das politische Bündnis mit der CDU zu stornieren.

Der Fall Haase wurde deshalb flugs zum Nicht-Koalitionsthema definiert. Nur aus diesem Grund bekam der Parlamentspräsident den Zorn der Sozialdemokraten zu spüren. Denn Haase kann qua Abgeordnetenhausverfassung nicht abgewählt werden – das Mißtrauensvotum hatte somit lediglich symbolischen Charakter.

So bleibt der „gute Mensch aus Tempelhof“, wie CDU-Hardliner Landowsky seinem Parteifreund Haase vorgestern wärmstens nachrief, dem Parlament wohl noch länger erhalten. Ihm scheint die Unterstützung seiner eigenen Fraktion für den Parlamentsvorsitz zu reichen. Barbara Junge

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