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Der Biber ist tot

Hamburgs Grün-Alternative Liste hat nach 15 Jahren in der Bürgerschaft ein gutes Stück auf dem Weg zur Altpartei zurückgelegt  ■ Von Florian Marten

„Liebe Leserinnen & Leser. Mit diesem Mitgliederrundbrief, der erstmalig von ALern und Grünen gemeinsam erstellt wurde, haben wir uns besondere Mühe gegeben. (Pause für Applaus). Wir liessen die taz für uns setzen (Vielen Dank, Wolle!) und verbrachten in trauter Runde ein wunderschönes sonniges Sommerwochenende (schnief!) beim Lay-outen. Nun denn – have a nicetime beim Lesen des Rundbriefes!“– so das Editorial des ersten GAL-Mitgliederrundbriefs vom 3. August 1982.

Zeiten waren das! Während heute die GAL-Fraktion handverlesene Gäste zum Geburtstagsfest mit mehr Musik als Politik ins luftig- grüne „Schöne Aussichten“über Planten un Blomen bittet, analysierten damals im finster-schmutzigen „Biber“im Schanzenviertel, dem GAL-Maskottchen der frühen Jahre, Thomas Ebermann und sein treuer Schatten Rainer Trampert beim Bier die Welt. Zum Beispiel: „Das Auto ist die einzige Maschine, die ein Arbeiter heute ganzheitlich bedienen darf.“Und Sportlehrerin Thea Bock aus Moorburg, die am 6. Juni 1982 die frisch vereinte Grün-Alternative Liste mit sensationellen 7,7 Prozent in die Bürgerschaft geführt hatte, durfte sich von der SPD-Konvertitin Regula Schmidt-Bott den wohlmeinenden Rat anhören: „Aus der Politik halt Ddch mal raus – da bist du überfordert.“

Tatsächlich hatten damals, in der wilden Gründerzeit der GAL, nur wenige den Überblick. Thea Bock räumte bei ihrem Austritt 1988 ein: „KB, Z-Gruppe – das kannte ich erst alles nicht. Ich wußte gerade, daß es die DKP gab.“Selbst so nüchterne Chronisten wie der Abendblatt-Redakteur Ernst Gerhard Scholz blickten nicht so recht durch: „Zu den 'Grünen' ist zu sagen, daß es sich nicht mehr um die 'Grünen' handelt ...“, schreibt er am 22. 10. 1981: „Die Bunte Liste wird immer grüner – Verwirrspiel bei den alternativen Gruppen“.

Dabei war doch alles ganz einfach: Bei den Bürgerschaftswahlen 1978 holen die „Bunte Liste/Wehrt Euch“3,5 und die „Grünen“1,0 Prozent. 1980 spaltet sich der Kommunistische Bund (KB) über die Frage „Wie halt' ich's mit den Grünen?“. Ebermann und Trampert werden „Grüne“, der Rest-KB überwintert im „Bunte Liste Initiativentreff“. Ebermann übernimmt den grünen Laden, die bunte Szene findet sich wenig später unter dem Label „Alternative Liste“wieder. Pikant: Fast alle Realos segeln damals unter der Alternativflagge, während sich die „Radikale Linke“in schlichtes Grün hüllt.

Nach heftigen Geburtswehen zwingen der 82er Wahltermin und die 5-Prozent-Hürde des Wahlgesetzes zum Zweckbündnis. Nach dessen überraschend deutlichen Erfolg „toleriert“die GAL ein halbes Jahr lang die SPD-Minderheitsregierung unter Klaus von Doh-nanyi. Die ersten deutschen rot-grünen Koalitionsverhandlungen enden jedoch in der vom damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Henning Voscherau und von Ebermann geplanten Sackgasse. Dohnanyi läßt im Dezember 1982 nachwählen, holt sich die absolute Mehrheit und beendet die bundesweit berühmt-berüchtigten „Hamburger Verhältnisse“.

Nach den 10,4 Prozent vom November 1986 verweigert die GAL Koalitionsverhandlungen mit der schwer angeschlagenen SPD, die erstmals in der Hamburger Geschichte von der CDU – wenn auch nur knapp mit 41,7 zu 41,9 Prozent – überholt worden ist. Die erneute Nachwahl im Mai 1987 beschert der Stadt eine wirtschaftssozialliberale Koalition sowie der GAL magere 7,0 Prozent und eine Frauenfraktion, die intern zerstritten ist und von vielen männlichen GAL-Funktionären mehr oder wenig offenherzig bekämpft wird.

Der Fall der Mauer sprengt auch die GAL in diverse Grüppchen: ein kleines Grünes Forum (Realo-GAL-Abspaltung), die Frauenfraktion im Rathaus (freischwebend nach Krach mit der GAL), eine Alternative Liste (Sammelbecken der Linksorthodoxen), die PDS (Sammelbecken für verwirrte Alt-Galier), Jutta Dittfurths Ökosozis (Sammelbecken für die ganz echten Fundis) und natürlich die Rest-GAL (mit Krista Sager). Als dennoch am 2. Juni 1991 mit 7,2 Prozent der erneute Einzug in die Bürgerschaft gelingt, liegen sich die verschiedenen GAL-Splitter in der „Fabrik“ökosekttrunken in den Armen.

Die vorzeitige Bürgerschaftswahl 1993 erwischt die inzwischen von den Realos dominierte GAL mitten in der internen Konsolidierung. Der sensationelle Wahlerfolg von 13,5 Prozent führt nicht in die Regierung, obwohl die Mehrheit der SPD Rot-Grün fordert: Voscherau, seit 1989 Hamburgs Erster Bürgermeister, gelingt es in letzter Sekunde, die Koalitionsverhandlungen an seinen „Essentials“scheitern zu lassen, obwohl die Grünen bei den Themen Hafenerweiterung, Atomstrom, Müllverbrennung, Unterelbvertiefung und vierte Elbtunnelröhre nachgeben.

Die GALier, die heute abend in den Schönen Aussichten über ihre Aussichten bei der Septemberwahl sinnieren werden, sind auf dem Weg zur „Altpartei“– Schmähbegriff der frühen Grünen für SPD, CDU und FDP – ein gutes Stück vorangekommen.

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