: Tic-Tale-Tomb-Tome-Tide
■ Ein Besuch im Bremer Max-Planck-Institut für „marine Mikrobiologie“
10.05 Uhr: Abfahrt für Ausflug Nr. 13, Congress Centrum an der Bürgerweide. Für die Wissenschaftler von der Max-Planck-Gesellschaft, die dieser Tage in Bremen ihre Jahreshauptversammlung abhalten, ist ein kleiner Törn zum hauseigenen Institut für „marine Mikrobiologie“vorbereitet. 26 Interessierte (darunter vier -Innen) haben sich im Bus eingefunden: Mal schaun, was sich so tut in dem einzigen Institut, das die Max-Planck-Gesellschaft nach '89 in den Altbundesländern noch zuließ. Im Bus mit dabei Michael Dolg. Der kommt vom Dresdener Institut für die „Physik komplexer Systeme“- ein „Versuchsballon“, so Dolg: Sein Institut habe kaum festes Personal und funktioniere anscheinend vornehmlich als ein produktives Chaos von Workshops. Während Dr. Dolg sich langsam warm erzählt, gibt es im Cockpit beim Busfahrer ein paar kleine Probleme: Nach fünf Minuten Fahrtzeit streift der Bus erneut am Kongresszentrum vorbei. Dolg also berichtet noch ein bißchen weiter von der „Dynamik nicht-linearer Systeme“. Das mit der Workshop-Struktur, das sei so gewollt, berichtet er. Und natürlich gibt es als Infrastruktur auch ein paar feste Arbeitsgruppen. Die beschäftigen sich zum Beispiel mit Rhythmusforschung - vom Herztakt bis zur Dollarkursentwicklung; Er selbst, Dolg, bringt im Grenzgebiet von Quantenchemie und Festkörperphysik die Methoden ein bißchen durcheinander, indem er sie aufeinander überträgt.
Szenenwechsel. Ankunft des Busses am Zielort in der Celsius- straße. Das Max-Planck-Institut für „marine Mikrobiologie“erstrahlt in hanseatischer Nüchternheit. Eher frohgemut seine beiden dynamischen Leiter Bo Joergensen und Friedrich Widdel. Knapp und kurzweilig berichten sie davon, was man unter „mariner Mikrobiologie“versteht, nämlich: Umweltforschung bis zu 6.000 Meter unter dem Meeresspiegel, oft auch „in situ“vor Spitzbergen oder am Golf von Mexiko – und ziemlich anwendungsorientiert. Warum nämlich, so stellt sich für den Fachmann die konkrete Kinderfrage, warum hat, was einst am Meeresboden wuchs, den Atlantik nicht längst überwuchert, wo doch den Gewächsen fehlt, was sie zum Sterben brauchen: der Sauerstoff. Die Arbeit an der Zersetzung des Organischen, so die Antwort des Mikrobiologen Friedrich Widdel, übernehmen in der Meerestiefe Bakterien, die nicht Luft, sondern Licht, Nitrate oder Sulfate atmen und dadurch selbst Eisen sauerstofflos zum Rosten bringen. „Das sind“, so Widdel, „Prozesse, die vor 3-4 Jahren in diesem Hause gefunden wurden“. Ziemlich atemlos saß da die Zuhörerschaft im kleinen Auditorium des Instituts; nur draußen auf dem kleinen Instituts-Teich sonnte sich im schönen Wildwuchsgarten teilnahmslos eine einsame Ente.
Solange sich in die Prozesse im Meer nicht Umweltveränderungen – wie eine globale Erwärmung – einmischen, werden also auch die atlantischen Untiefen von einem halbstabilen Stoffwechselsystem gemanagt. Den Fragen nach möglichen Umwelteinflüssen widmet sich unter anderem der Biogeochemiker Bo Joergensen, wenn er fragt, wie sich kleine Klimaveränderungen auf die Kohlenstoffregulierung am Meeresboden auswirken: „Wie schnell atmen die Bakterien in Wassertemperaturen von 80-90 Grad Celsius?“Auf den Fensterfronten und Steinfußböden draußen auf der Sonnenterasse und drinnen in den Lichthöfen des Bremer Max-Planck-Instituts, um die sich die Labore gruppieren, sind geheimnisvolle Buchstaben graviert: „Tic-Tale-Tomb-Tome-Tide“„ Das sind Wortspiele; danach darf man nicht fragen“, so Professor Widdel. Natürlich fragen die Wissenschaftler doch und frönen beim Hausrundgang einen kleinen Moment der Hermeneutik: Wo im Chaos steckt das System? Ein kleiner Aufenthalt noch im „Gewächshaus für marine Systeme“, wo die Bakterien arbeiten - in der Celsiusstraße wartet der Bus. ritz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen