: Der Gewalt Einhalt gebieten
■ Die russische Spätaussiedlerin Olga Gau fordert Frieden zwischen Aussiedlern und Ausländern / Ihr Sohn war durch einen Brandanschlag im Juli schwer verletzt worden
Ich möchte Sie in meiner ganzen Verzweiflung aus ganzem Herzen auffordern, alles zu tun, um der Eskalation von Gewalt unter den Jugendlichen Einhalt zu gebieten.“Diese Worte hat Olga Gau, Mutter eines 20jährigen Sohnes, am 8. August an den Bremer Innensenator, den Justizsenator und die Sozialsenatorin gerichtet. Zu diesem Zeitpunkt rang ihr Sohn Alexander, von den rußlanddeutschen Eltern liebevoll „Sascha“genannt, bereits seit zwei Wochen mit dem Tod. Am 26. Juli war der 20jährige mit schwersten Brandverletzungen in eine Spezialklinik in Hannover geflogen worden, nachdem ein Molotow-Cocktail an seinem Körper explodiert war. Eigentlich hatte Sascha an diesem Abend mit Freunden in Tenever zu einer Geburtstagsparty gehen wollen. Doch plötzlich war eine Gruppe „Ausländer“aufgetaucht und hatte Brand- sätze geworfen, berichteten Zeugen später der Mutter. Ihr Sohn, vor zehn Tagen endlich aus dem Koma aufgetaucht, erinnert sich an nichts mehr. Ein Mann aus Sri-Lanka sitzt seit dem Vorfall wegen Mordverdachts hinter Gittern.
Olga Gau, die Mutter des Opfers, hat auf ihren Brief an die SenatorInnen bislang nur eine Antwort bekommen. Jugend- und Sozialsenatorin Christine Wischer äußerte in einem Schreiben Betroffenheit und Mitgefühl. Man sei sich des Problems derartiger Auseinandersetzungen bewußt und werde diese im Rahmen der Möglichkeiten zu verhindern trachten. Vorgestern folgte dem Beileidschreiben der Senatorin ein Brief ihrer untergeordneten Behörde. „Da haben wir geweint“, führt Olga Gau ihre Hand an die Schläfe. „Das Sozialamt hat meinem Kind Geld weggenommen“, sagt sie dann mit gefestigter Stimme. Die rüstige Mittvierzigerin leitete früher einen Betrieb. Seit sie in Deutschland lebt, hat sie mit dem Sozialamt nichts als Ärger. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse und weil Sie sich seit längerem im Krankenhaus aufhalten, müsse ihr Sohn Alexander einen Teil der Miete selbst an die Bremische überweisen, steht in dem letzten Schreiben der Behörde.
Die Spätaussiedlerin Gau weint oft, seit sie vor acht Monaten nach Deutschland kam. „Heimweh.“Als letzte von vier Schwestern war sie der Mutter hierher gefolgt. Doch wäre es nicht „für die Zukunft der Kinder“, für den Sohn und die jüngere Tocher gewesen, lebte Olga immer noch in ihrem „schönen Dorf in Kasachstan“. Dort hatte sie Haus, Garten, ein Auto – und vor allem: Arbeit. Arbeit, die die Familie in Bremen sucht und sucht. Erfolglos. „Jeden Tag telefoniere ich für uns“, sagt Olga Gau. Das tut sie morgens, bevor sie das Essen für den verletzten Sohn kocht, es einpackt und mit dem Mann im Auto der Großmutter nach Hannover ins Krankenhaus fährt.
Daß die Familie eigentlich nicht weiß, wie sie das alles von Sozialhilfe bezahlen soll, gibt Olga Gau nur auf Nachfrage preis. „Ja, wir haben uns bei der Mutter verschuldet.“Das scheint ein kleineres Problem – im Vergleich zur großen Ungewißheit, ob der Sohn je wieder richtig gesund wird oder ob die Familie jetzt überhaupt noch in Bremen bleiben kann.
„Hier ist es gefährlicher als anderswo“, glauben die Eltern. Die 15jährige Nichte der Gaus wurde vor ein paar Wochen am Mahndorfer See von türkischen Mädchen geschlagen, berichtet die Aussiedlerin. „Der Neffe kam nach einem Streit mit zwei Türken ganz gelb nach Hause.“Auch sie selber sei von unbekannten türkischen Jugendlichen auf offener Straße beschimpft worden. Dabei wohnt die Familie in der Gartenstadt – und nicht im „gefährlichen“Tenever. Warum sich dort Gruppen von Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft regelrecht bekämpfen, versteht Olga Gau nicht. Auch nicht, wie ihr Sohn da hinein geriet. „Ich habe ihn immer zur Toleranz erzogen“, sagt sie. „Auch die Kasachen sind schwarz. Wir haben zusammen gelebt, zusammen gearbeitet und zusammen gefeiert.“Indien und Sri Lanka kennt sie nur aus Filmen. „Da waren die Leute sehr nett.“
Über Weggehen oder Bleiben hat die Mutter mit dem Sohn noch nicht sprechen können. Die Zukunft ist noch zuviel für ihn. „Er weint doch immer.“Außerdem, wie hätte sie Entscheidungen treffen können? „Wir wußten doch nicht, ob er überlebt“, rollt Olga Gau in dem melodiösen Deutsch, das sie von der Mutter gelernt hat, bittere Wahrheiten aus. Vielleicht auch die, daß Alexander selbst immer die Auswanderungspläne der Familie befürwortet hatte. Er wollte in Deutschland Dachdecker lernen. „Dabei verdient man damit gut.“Das braucht er. „Er will die Freundin heiraten und Kinder haben“, sagt die Mutter.
Ob und wann diese Pläne wahr werden, weiß. So lange die Gaus in Bremen leben, fürchtet die Mutter, daß es jeden Tag wieder knallen kann. In diesem Bewußtsein hatte sie den Sohn oft gebeten, nicht nach Tenever zu den Freunden zu fahren. Mit dem Wissen, „daß heute etwas passiert“, war sie selbst an Saschas Unglückstag nach Tenever geradelt, um den Sohn zu suchen. Die Großmutter hatte sie zuvor alarmiert, „weil da alle mit Stöcken rumlaufen“.
Weil Olga Gau „keinen Krieg“will, hat sie an die Senatoren geschrieben. Fünf Seiten voll mit Unterschriften anderer AussiedlerInnen hat sie beigelegt. Sie hofft, daß doch noch etwas geschieht. Daß es „vielleicht mehr Polizei“gibt – und daß sie jedenfalls „strenger“wird. Und daß es Arbeit gibt. „Dann wären die Jungen nicht immer auf der Straße.“ Eva Rhode
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