: Belogen, betrogen, verkauft
Der Präsident des englischen Fußballklubs Brighton hat aus dem Stadion einen Baumarkt gemacht. Morgen wollen ihm die erbosten Fans auflauern ■ Aus Brighton Hardy Grüne
Beliebt ist David Bellotti nun wirklich nicht. „Scum!“ – höflich mit „Abschaum“ übersetzt – rufen die Fans des englischen Fußballklubs Brighton and Hove Albion, wenn ihr Vizepräsident auf der Tribüne Platz nimmt. Neulich hat „Sussex's public enemy Nr.1“ (The Observer) Bellotti nach einem Auswärtsspiel den Zug verlassen müssen, weil die Polizei nicht mehr für seine Sicherheit garantieren konnte. Es sind nicht nur die Hartgesottenen, die sich mit eindeutigen Worten und Gesten in Richtung Bellotti Luft machen.
2.336 Zuschauer sind gekommen, das 1:1 der Seagulls aus dem Südküstenbadeort Brighton gegen den nordenglischen Liganeuling Macclesfield Town zu sehen. Kein einziger von ihnen mag Bellotti leiden. „Er hat uns nach Strich und Faden betrogen und belogen“, sagt Attila von der unabhängigen Brightoner Faninitiative, „und er ist schuld, daß wir heute hier sind“. Hier, das ist das rund 130 Kilometer nördlich von Brighton gelegene Gillingham an der Themse-Mündung. Bis auf unbestimmte Zeit müssen die Seagulls dort ihre Heimatspiele austragen. Das Vereinspräsidium hat das eigene Stadion verkauft. Dort entsteht inzwischen ein Heimwerkermarkt.
Brighton and Hove Albion, seit 77 Jahren in den englischen Profiligen vertreten, ist ein Musterbeispiel für das, was einem Fußballklub passieren kann, wenn er in die Hände von Spekulanten gerät. Brightons tragische Geschichte begann 1993. Zehn Jahre nach dem Erreichen des Pokalfinales, dem größten Vereinserfolg, war der Klub in die Drittklassigkeit abgerutscht und stand mit rund drei Millionen Pfund Schulden kurz vor dem Konkurs. Zudem war das vereinseigene Goldstone-Stadion veraltet und genügte nicht mehr den Sicherheitsauflagen. Die vermeintliche Lösung hieß Bill Archer und war Direktor einer großen Heimwerkermarkt-Kette. Für den Spottpreis von 56 Pfund erwarb er die Mehrheit im Klub.
Da Archer alles andere als ein Fußballfan war und zudem in Nordengland wohnte, engagierte er den überzeugten Brighton-Fan David Bellotti als Generalmanager. Die beiden versprachen ein neues Stadion an der Peripherie Brightons, die Fans schauten wieder hoffnungsvoll in die Zukunft.
Als zwei Jahre später noch immer nichts passiert war, forschte ein Reporter der Lokalpresse nach. Was er zu Tage förderte, war erschreckend. Das neue Präsidium hatte das Stadion für 7,4 Millionen Pfund an ein mit Archer verbundenes Konsortium verkauft.
Im April 1996 mußte der Verein das Gelände räumen. Gleichzeitig hatten Archer und Bellotti einen Passus aus der Satzung gestrichen, nach dem sämtliche Überschüsse aus einer Vereinsauflösung karitativen Zwecken zugehen müssen. Nun war offensichtlich, daß der Klub in die Hände von Geschäftemachern gefallen war, die ihn absichtlich in Konkurs gehen lassen wollten, um Profit zu machen.
Archer und Bellotti waren auf dem besten Weg, ihr Ziel zu erreichen, denn die Mannschaft war inzwischen viertklassig und stand kurz vor dem erneuten Abstieg. Verzweifelt gingen die Fans an die Öffentlichkeit. Nachdem der „Fall Brighton“ durch die gesamte englische Presse gegangen war, wurde zumindest der „Überschuß-Passus“ wieder in die Satzung aufgenommen: Archer sprach von einem „Mißverständnis“. Weihnachten 1996 standen die Seagulls fast sicher als Absteiger fest. „Homeless and hopeless“ schrieb die Presse. Doch in einem dramatischen Spiel holte sich das Team mit Hilfe der 4.000 mitgereisten Fans in Hereford den notwendigen Punkt zum Klassenerhalt.
Nun spielt man ein weiteres Jahr in der dritten Division, das ist sicher. Alle anderen Fragen – vor allem die nach der künftigen Spielstätte – sind offen. Brightons Fans und das Präsidium im Wartestand um den lokalen Werbefachmann Dick Knight wollen im per Bahn problemlos erreichbaren Millwall spielen. Archer und Bellotti aber arrangierten ein zweijähriges „Groundsharing“ mit Gillingham, das nur über Umwege von Brighton erreichbar ist. Gillingham will in naher Zukunft selbst ein neues Stadion bauen. Archer kann dann das attraktive, innenstadtnahe Gelände des alten Stadions billig erwerben, um einen weiteren Heimwerkermarkt zu errichten.
Das erste „Heimspiel“ im Priestfield-Stadion von Gillingham geriet zu einer Demonstration. In der Vorsaison hatte Brighton 5.500 Zuschauer pro Spiel. Nun, hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, entweder ihrer Mannschaft den Rücken zu stärken oder die „Heimspiele“ solange zu boykottieren, bis Archer und Bellotti abtreten, machten sich rund 2.000 Fans auf die zweistündige Fahrt nach Gillingham.
Dort wurden sie von einem massiven Polizeiaufgebot erwartet. Statt üblicher Gesänge herrschte vor den Eingängen völlige Stille. Im Stadion wechselten sich wütende „Archer out!“- mit „We'll support you evermore“-Rufen ab. Als zwei Minuten nach Spielbeginn David Bellotti unter Polizeischutz auf der Tribüne erschien, mußte er sich ein mächtiges Pfeifkonzert gefallen lassen.
Wie es weitergeht, weiß in Brighton derzeit keiner. Das Team steht schon wieder hinten und kann jede Unterstützung brauchen. Schattenpräsident Knight sagt, er werde die Situation in Kürze gelöst haben. „Eigentlich wollten wir ja dieses Spiel schon boykottieren“, sagt Attila von der Faninitiative, „doch das konnten wir der Mannschaft nicht antun. Aber es wird das einzige Spiel hier in Gillingham sein, zu dem Brighton-Fans kommen. Erst wenn Archer und Bellotti weg sind, kommen wir wieder. Solange werden wir nur noch zu Auswärtsspielen fahren.“
Statt zum „Heimspiel“ morgen gegen Leyton Orient zu gehen, hat man ein „Camp“ vor dem Haus von Bill Archer in Nordengland geplant. „Wir werden ihm einen schönen Samstagnachmittag bereiten“, kündigen die Fans vielversprechend an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen