piwik no script img

Die Spur des Steines

Sieben Jahre schon, seit die DDR dem Westen beigetreten wurde. Aber etwas hat überlebt: Rammstein, die Band, die gekommen ist, um eure Töchter zu verführen – mit Kettenhemden und Muckis aus dem Ossi-Park  ■ Von Thomas Groß

„Eingecremter Arbeiter / steht

da und interessiert / sich nicht“

Max Goldt/Foyer des Arts

Am Anfang aller Härte muß großes Muffensausen gewesen sein. Stell dir vor, der Applaus ist vorbei, die Mauer weg, die Freundin auch, der Westen liegt frei, aber fremd vor dir. Im letzten Moment ziehst du die Bubenkarte. Und in einem Proberaum im Prenzlauer Berg entsteht vor dem Wall of Krach, den die geilen neuen West-Effektgeräte machen, die erste Rammstein-Zeile: „Ich will ficken.“

Das ist stumpf? Das ist stumpf, fürwahr. Aber irgendwie auch ein Witz. „Als wir gesagt haben: ,Ich will ficken‘“, erläutert Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz, „da dachten wir: Oh je, ja ja, ob det mal so gut geht. Aus der Ecke, haben wir gedacht, käme der Ärger, daß einer sagt: Wird nicht veröffentlicht, könn' wa nicht brauchen. Aber dann stehste im Konzert, Tag für Tag, und alle singen mit, und mit einem Mal ist ,Ich will ficken‘ det Normalste uff der Welt geworden.“

Selbsterektion wilder Männer

Gelassen gesprochen, aber so in etwa läßt sie sich zusammenfassen, die unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte der Band namens Rammstein. Der Rest sind bis heute im Grunde bloß Variationen eines Themas: „Bück dich“, „Bestrafe mich“, „Tier“, wie Titel auf der gerade erschienenen zweiten CD „Sehnsucht“ heißen. Zwischen langen Frauenbeinen sucht Sänger Till Lindemann, ein gelernter Korbflechter, „den Sand vom letzten Jahr“, gurgelt den Text germanisch von ganz tief unten herauf – und alle singen mit.

Was als Selbsterektion wilder Männer aus dem Osten begann, überragt mittlerweile monströs das gesamte Bundesgebiet, sehr zum Erschrecken derer, denen alles östlich von Helmstedt noch nie so ganz geheuer war, mit Erstaunen aber auch von der hippen Westfirma registriert, bei der die sechs Musiker aus Schwerin und Ostberlin nach längerer Suche untergekommen sind. „Tadellos. Doppelgold für Rammstein“, heißt es in eigens geschalteten Vierfarbanzeigen. „Das hätten wir nun wirklich nicht erwartet. Danke.“

So ganz können sie es ja selbst noch nicht fassen, die harten Jungs, die so plötzlich zu kapitalistischen Musterknaben geworden sind. „Wenig Kopf“ sei bei der Konzeption von Rammstein dabeigewesen, meint Schlagzeuger Christoph Schneider entwaffnend ironiefrei – „jetzt ham wer 'n Kind geboren und müssen damit leben“. Was ja angesichts der angenehmen Begleiterscheinungen noch ginge, bloß das mit dem Faschovorwurf, das nervt, denn „da findet jetzt 'ne totale Auseinandersetzung statt, von dem her: Was hast'n jetzt eigentlich verbrochen?“

Weniger noch als ihren Blitzerfolg können die an die Interviewfront geschickten Flake und Schneider verstehen, was ihnen da vom alten Westen her ans Bein gehängt wird. Sind sie denn nicht die ehrlichen Häute aus dem Kiez geblieben? Die immer noch im alten Headquarter Knaack Club residieren, wo untendrunter bodygebuildet wird und oben Billardtische stehen? „Deutschnationale“ Dumpfbolde (Musikexpress/ Sounds) – und das für ein bißchen Pyrozauber und nackte Oberkörper auf der Bühne? Ach Gottchen. „Links, rechts, det hatten wer doch mit 14!“ Das mangelnde Schuldbewußtsein, der Trotz gegen das faschismusverdächtigende Faschosystem Westpresse rührt daher, daß die unverhoffte Penetration des Mainstream eine Vorgeschichte hat. Rammstein sind eine Spätgeburt der untergegangenen DDR.

Damals, als die Welt noch geordnet in Unordnung war, spielten die Artisten, die später als Rammstein bekannt wurden, samt und sonders in ehrenwerten Underground-Bands. Puhdys, City, Karat, das waren die Maffays des Ostens – man selbst nannte sich Feeling B oder Das elegante Chaos. Die sogenannten „anderen Bands“, die den Zusammenbruch, die bevorstehende Umwertung aller Werte, bereits ahnten, aber auch nichts anderes mehr zustande brachten als ein gedeckeltes Dasein in Tagesjobs als Stukkateur oder Werkzeugmacher. Oder eben Korbflechter. Die McJobs des Ostens. Gib mir 200 Mark, und ich finde schon mein Auskommen in irgendeiner Bruchbude. „Im Prinzip befandest du dich mit Feeling B in einem rechtsfreien Raum“, meint Flake heute.

Kotzmaschinen im rechtsfreien Raum

Nichts schien in dieser Situation korrekter, als dem mühsam hochgehaltenen Fortschrittsglauben der Offiziellen wenigstens etwas Nihilismus entgegenzupunken – und sich dabei genau jener Ästhetiken zu bedienen, die in den Lehrbüchern nicht vorkamen, aber in Nischen wie den Meckpomm-Landestheatern (wo halb Rammstein auch einmal in Lohn und Brot standen) gepäppelt wurden: vitalistischer Gegenzauber aus dem Geiste Nietzsches und Artauds, verschlüsselte Botschaften eines bösen männlichen Antikörpers, der die Wiederkehr des Verdrängten lustig inszeniert. Raunend das R rollen zu lassen, das entsprach – mit Zeitverzögerung – dem hakenkreuzpinselnden Aufstand westdeutscher Punks gegen die Sozialdemokratie. Zu den Katererscheinungen gehörte das Bewußtsein, nichts weiter als einen Budenzauber zu entfachen, einen rhetorischen Popanz, der mit dem Ostschlager mehr gemein hatte, als ihm lieb war – wirkungsästhetisch gesehen.

Kein Wunder, daß Feeling B am Ende eine Bühnenperformance namens „Kotzmaschine“ entwickelten, in der irgendwelche Zuschauer hochprozentig abgefüllt wurden und quasi im eigenen Saft rotierten. So Späße waren das in diesen Tagen. Vom Westen unbeachtet, hatte die DDR ihr eigenes System der repressiven Toleranz ausgebildet, jene inzestuöse Situation, von der man sich als Westler vorstellt, jeder habe mit jedem irgendwas gehabt, womöglich noch ein Kind.

Der Schattenosten habe sich ausgelebt „im massenhaften individuellen Ausstieg aus den Strukturen eines nicht länger als sinnstiftend angesehenen Systems“, fassen die Macher einer demnächst in Berlin eröffnenden Ausstellung zum Thema „Bohème und Diktatur in der DDR“ zusammen. Schöner kann man es wahrscheinlich nicht sagen. Daß zwei Rammsteine heute als alleinerziehende Väter treusorgend durch den Prenzlberg radeln, gehört zu den Treppenwitzen dieser Hartmann-Story.

Jetzt ficken wir das Kapital!

„Was macht ein Mann, was macht ein Mann, der zwischen Mensch und Tier nicht unterscheiden kann“, raunen Rammstein heute. Ja, was macht er, dieser Mann? „Er wird zu seiner Tochter gehen, sie ist schön und jung an Jahren, und dann wird er wie ein Hund mit eigen Fleisch und Blut sich paaren.“ Zack! Die größtmögliche Packung aufs Auge sämtlicher kursierender Tabus. Macht die Schotten dicht – Kinderschänder von Backbord! Bei näherem Hinhören aber mehr noch eine schwergereimte Travestie auf die Situation, in der die „anderen Bands“ sich nach dem Ende der alten Toleranzen befanden. „Wo willst du hin, so uferlos, die kalte See, komm in mein Boot, der Herbstwind hält die Segel straff“ – Männer auf verlorenem Posten, wehrlos in die Kälte des Kapitalismus hinausgestoßen. Immer kleiner werden die Schwänze... Irgendwann müssen die sechs, die sich in der Folge Rammstein nannten, von denen obendrein die Legende geht, sie seien plötzlich alle ohne die alten Freundinnen dagestanden – „außer icke“ (Flake) –, sich gesagt haben: Jetzt probieren wir's noch mal anders, jetzt bauen wir uns überlebensgroß auf. Und ficken das Kapital.

Rammstein sind die Wiederkehr des Rock 'n' Rollers als Psychomonster, das sich, von so ephemeren Zeiterscheinungen wie Feminismus oder Political Correctness unbeleckt, scheinbar jenseits von Gut und Böse aufpflanzt – und das dreist. Und ostig. Zum Spiel gehört eine lässig zur Schau getragene Power-from-the-Eastside- Attitüde, die das Abgewertete wieder in Kurs bringt und im Gegenzug mit den Werten des Abendlandes Schiffeversenken spielt. Westen, das ist doch da, wo sie Bananen zur Fütterung reinwerfen, oder? Wo „unsere Menschen“, wie es in der DDR so schön fürsorglich hieß, in die Sklaverei rechtsdrehender Joghurtkulturen und hohler Überraschungseier gezwungen wurden. Der antiimperialistische Schutzwall – war er so gesehen denn so schlecht?

Aber etwas hat überlebt. Jetzt kommt es zurück, um eure Töchter zu ködern – mit Muckis aus dem Ossi-Park. „Wir hatten das Glück, aus'm Osten zu sein und deshalb nicht so beeinflußt“, sieht Schneider es, womit er nahelegt: Die Westbindung hat doch nur Kopien angloamerikanischer Vorbilder hervorgebracht, hier kommen die Originale! Naturburschen mit deutschen Texten, keine Kaumasse mit fremden Stoffen, im Hintergrund Stahlgewittergitarrengetöse – kriegt ihr schon Angst? Nein? Dann kratzen wir noch etwas weiter am Lack der Zivilisation.

„Sehnsucht“ steht quer über der Landschaft, die das Innencover der neuen CD ziert, geritzt wie von Vandalenhand in das Tiefdruckblau eines Strandprospektes mit TUI-Palmen. Dschingis Khan was here? Oder einfach nur ein guter Grafikdesigner?

Das Unheimliche, sagt die Tiefenpsychologie, nimmt seinen Weg über die intellektuelle Unsicherheit, den Zweifel an der wahren Natur einer Sache – ein Effekt, den Rammstein, wie alle Spieler mit dem Tabubruch, weidlich auszunutzen wissen. Nicht ich, der Text ist's gewesen, sagen sie achselzuckend, wenn man sie auf „Bück dich“ anspricht. Aber Moment mal, die ganze Explicitness? Ist doch nur Trieb, sagen sie, brutal sind Tic Tac Toe auch. Nein, mit solchen Fragen kann man ihnen nicht beikommen, das hatten sie schon mal, und überhaupt: Ist doch alles wie Fernsehen. „Immerhin ist in der Werbung die Menstruationsflüssigkeit in einem freundlichen Hellblau gehalten“, wußte ein überforderter Musikexpress- Interviewer zu kontern, „bei euch ist Blut noch Blut – tiefrot.“ April, April, sagen da Rammstein: Ist doch nur Kunst. Episches Theater. Und die Stasi haben wir übrigens noch immer kleingekriegt.

Daß alles nicht so heiß ist, wie Till Lindemanns Auftritte im brennenden Kettenhemd vermuten lassen, daß der Westen wild ist und schwer der Beruf, wissen sie freilich selbst am besten – wozu hat der Mann schließlich den Pyro-Schein gemacht? „Irgend 'ne Sauerei“ fällt ihm normalerweise zum Gegurke der Restband ein, sagt er, was von eher handwerklichem Zugang zum Geschäft der Provokation zeugt – Frank Castorf, übernehmen Sie! Im Unterschied zur Hochpopkultur der Volksbühne allerdings sind Lindemann & Co. Trash von unten.

Kasperletheater der Grausamkeit

Aus dem Innersten der Rammstein-Rede spricht noch immer die ehrliche Verwunderung, daß blutig ernst genommen wird, was doch eigentlich Kasperletheater der Grausamkeit ist, zusammengeklaubt aus den Trümmern der Nachtseiten der DDR: ein bißchen Proletkult, ein bißchen German Gothic, des Ostlers Hang zum Gesamtkunstwerk; dazu modernistischer Schnickschnack aus dem Sampler (als Füllmasse) und ein wenig Italo-Western-Atmo – ja, merkt denn keiner, daß Rammstein im Grunde eine total unoriginelle Band sind? Die Brigade Balla der neudeutschen Postmoderne? Die Boygroup eines herbeiinszenierten Grauens?

Nein, Faschisten sind sie keine, die Jungs, die mir in der VIP- Lounge des Knaack Club gegenübersitzen, Flake im lässigen Slacker-Look, Schneider im Camel- Mann-Leinenanzug derer, die es geschafft haben. Eher schon spätberufene kapitalistische Realisten, Handelsreisende einer unwahrscheinlichen Geschäftsidee. Brandstiftungen? – Sorry, nicht unser Business, we are only in it for the money! „Wenn man sich schon verkauft, kann man's auch richtig machen“, sagt Schneider in der ihm eigenen Offenheit. Lindemann, der Junge vom Lande, der dem Fußballspieler Ulf Kirsten im übrigen verblüffend ähnlich sieht, hat es einmal fast herbergerisch ausgedrückt: „Meine Erfahrung lehrt mich, daß man den Ball flach halten soll und die Kuh von der Seite melken und die Leiter gerade halten.“

Geisterfahrer auf dem „Lost Highway“

Die Chancen, daß die Kuh noch eine Weile Milch gibt, stehen nicht schlecht. Viva gibt Schützenhilfe und läßt die Videos heavy rotieren. David Lynch hat zwei Rammstein- Songs in seinem „Lost Highway“ verwendet, was der Karriere auch international zum Anschub verholfen hat. Japan will importieren, hört man. In den hiesigen Läden wird bereits stapelweise verrammschsteint, und seit Bravo Till Lindemann eine Homestory gewidmet hat, dürfen auch mittelständische Mädchen von unverbildeten Prollheads träumen, wie sie in dieser Urigkeit selbst im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten ausgestorben sind.

Bloß in Hollywood denken natürlich jetzt alle, Deutschland sei ein Land voller Folklorenazis, die unablässig Feuer spucken und Kinder schänden. Schade, aber toll! So kann's rumgehen, wenn der unterworfene Osten wiederkehrt und ästhetisch Rache nimmt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen