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Analoges Taubenschießen

■ Nachts, wenn die Unterhaltungselektronik sich von den Besucherströmen erholt, verdrängt die harte Realität die virtuellen Welten der Internationallen Funkausstellung

Mittwoch nacht auf dem Messegelände. Alles ruhig. Bildschirme, Videowände, Leuchtreklamen – alles erholt sich vom unablässigen Piepsen und Blinken für die Tausenden von Technikfreaks des Tages. Eine ruhige Schicht auch für die etwa 500 Nachtwächter, die sich ihr Geld fast im Schlaf verdienen und darauf achten, daß keiner der Kollegen ein unerlaubtes Schnäppchen an den Ständen ergattert.

Doch gegen 21 Uhr schreckt ein ver(w)irrtes Täublein die nächtliche Beschützerin des Standes 18 in Halle 2.1. Das graugefiederte Flugobjekt setzt an zum Tiefflug und bombardiert die hohe Technik mit einem Ei. Aber es fehlen die modernen Radargeräte, die Attacke verfehlt ihr Ziel. Das zerbrechliche Bioprodukt zerschellt auf dem Teppich, die empfindliche Unterhaltungselektronik bleibt verschont. Hätte sich die Taube den heutigen Bedürfnissen des Homo ludens angepaßt, hätte sie sich als handlicher Tamagotchi virtualisiert. Ein Knopfdruck hätte genügt, um den Teppich vom Eiersalat zu befreien. Und der unliebsame Störenfried wäre durch schlichte Nichtbeachtung terminiert worden. Beseitigt bis zum nächsten Spiel.

Doch in der real world wird nach anderen Regeln gespielt. Die Wächterin alarmiert den Hallenwart, der wie üblich umgehend ein mit Luftdruckgewehren ausgestattetes Erschießungskommando ordert. Die Taube erhält eine letzte Chance, ein offene Tür, doch das Fluchtprogramm des Vogels versagt. Die Jagd beginnt. Das Federvieh versucht sich zwischen den Entlüftungsrohren unter der Decke zu verstecken – keine Chance. Der erste Schuß trifft. Das Opfer stürzt, fängt sich wieder, strebt hoch zu den Rohren an der Decke. Angeschlagen verzichtet es auf erneute Deckung. Zweiter Treffer – die Taube fällt zu Boden, zappelt noch. Ein finaler Blattschuß befördert den „Krankheitserreger“ ins Jensseits.

Federn, Blut und Eierreste werden in einer blauen Mülltüte entsorgt. Kommentar des Hallenwarts: „Der dritte Schuß auf den am Boden liegenden Vogel war überflüssig. Zu viel Blutflucken auf dem schönen Teppich.“ Aber davon werden die Besucher am nächsten Tag nichts mehr merken. Dann findet die Monsterjagd wieder auf den Bildschirmen statt. Schonzeit für die Tauben, bis zur nächsten ruhigen Nacht. Christian Haase/ga

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