: Verschwörungstheorie
■ Medienkritik im "Fernseh-Fieber": "Die Konsensfabrik. Noam Chomsky und die Medien" (Teil 1, 23.20 Uhr, 3sat)
Wie Dr.Jeckyll hat auch Noam Chomsky zwei Seiten. Den berühmten linguistischen Arbeiten des Professors aus dem Elfenbeinturm des „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) steht eine altlinke, dogmatisch vertretene Medienkritik gegenüber. „Das ,Chomsky-Problem‘“, so die New York Times 1979, „besteht darin, zu erklären, wie diese beiden Bereiche zueinander passen.“
Der zweieinhalbstündige kanadische Dokumentarfilm „Die Konsensfabrik“ von Mark Achbar und Peter Wintonick hat in fünf Produktionsjahren hauptsächlich die Arbeit des Medienkritikers Chomsky begleitet. Das „Chomsky- Problem“ haben sie nicht gelöst. Das atemlose Bildgewitter illustriert Chomskys Thesen plakativ und zerhackt Vorträge und Gespräche dort, wo Zusammenhänge von Interesse wären.
Wer dranbleibt, lernt Chomsky als akribischen Chronisten kennen, der die verfälschte und verhinderte Auslandsberichterstattung der amerikanischen Massenmedien korrigiert. Der Vietnamkrieg gilt, im Gegensatz zum cleanen Golfkrieg, als der Krieg, dessen grausame Bilder die Menschen wachgerüttelt haben – Chomsky sieht andere Zusammenhänge. So dröselt er am Beispiel der indonesischen Invasion in Ost-Timor differenziert auf, wie die USA durch Waffenlieferungen einen Genozid unterstützten und „entscheidenden diplomatischen Beistand leisteten“. „Kritische Reaktionen auf dieses von den USA unterstützte Massaker, selbst ordentliche Berichterstattung, waren gleich Null.“ Ähnlich passiv war auch die deutsche Fernsehberichterstattung 1994, als während des Bürgerkriegs in Ruanda knapp eine Million Menschen ermordet wurden.
Chomsky zeigt, daß mit Timor „vergleichbare Grausamkeiten“ der Roten Khmer in amerikanischen Leitmedien eine ungleich größere Aufmerksamkeit erfuhren. Zum Beweis haben Achbar und Wintonick in ihrem Chomsky- Film den Index der New York Times zu den Themen Timor und Kambodscha zwischen 1975 und 1979 zu zwei Papierstreifen aneinandergeklebt. Während die Timor-Spalte 1,70 Meter lang ist, umfassen allein die Hinweise auf Kambodscha-Artikel 29 Meter.
Gegen die Evidenz der Fakten ist nichts einzuwenden, das „Chomsky-Problem“ beginnt erst mit der Bewertung der Fakten und ihrer theoretischen Verallgemeinerung. Seine krude Medien-Verschwörungstheorie der „Gedankenkontrolle“ geht davon aus, daß Regierung und Big Business die Berichterstattung in der Tasche haben, da in den USA 23 Gesellschaften 50 Prozent der Medien kontrollieren. Die Leitmedien unterlägen einer Selbstzensur, die die „story“ immer auf einen engen Realitätsausschnitt begrenze und dabei pure Verlautbarung der Regierungsinteressen sei.
Besserwisserisch versucht Chomsky den Nachweis, daß eine kleine politische Klasse der USA auf dem Rücken der verdummten Masse eine Mission verfolgt, die ihre Wurzeln in der Siedlerökonomie und der Beinahe-Ausrottung der Indianer hat. Durch seinen Verzicht auf eine theoretische Ausarbeitung seiner Verallgemeinerung der Fakten im medienpolitischen Bereich wiederholt er dabei genau den Fehler, den er bereits in seiner Linguistik machte.
Chomsky weiß immer schon, was für alle gilt; er unterstellt eine „Universalgrammatik“, die jedem Menschen durch eine Art Biochip angeboren ist. Problematisch daran ist, daß Chomsky die Struktur dieser Universalgrammatik objektiv zu analysieren glaubt. Die eigentliche Anwendung der Sprache als Sinn, Bedeutung, Literatur ist dabei nur noch eine Zutat. Hätte Chomsky recht, müßte man „Ulysses“ nicht mehr interpretieren, sondern nur noch berechnen. Diese Berechenbarkeit der Sprache versetzt Chomsky in den Besitz der „Natur des Menschen“, die auch den Kern seiner Medientheorie bildet. In einem Gespräch von Foucault in die Enge getrieben (im Film gekappt), spricht Chomsky von „einem absoluten Fundament, das im letzten aus grundlegenden Eigenschaften des Menschen besteht, und hierin gründet auch der ,wahre‘ Gerechtigkeitsbegriff“.
Chomsky ist ein Totalitarist, der im Namen der „wahren Gerechtigkeit“ dagegen ankämpft, daß Fernsehen den Massen Sand in die Augen streut. Seine These ist eine stark abgespeckte Version der „kritischen Theorie“, die hierzulande in den 50er und 60er Jahren propagierte, daß die Entfremdung und Gleichschaltung durch „Kulturindustrie“ und Reklame dem Menschen zur „zweiten Natur“ würde. Obwohl Fernsehen auch hierzulande zum Leitmedium geworden ist, den Tagesablauf strukturiert und die Befindlichkeit der Bevölkerung homogenisiert, wird eine Medienwirkung, wie Chomsky sie annimmt, nur dann diskutiert, wenn Gewaltdarstellung wieder einmal entsittlichende Verrohung gezeitigt hat. Das Fernsehen hat weniger Macht über den Zuschauer als der Zuschauer durch seine Trägheit Macht auf das Fernsehen. Wenn Aufklärung über Ruanda wirklich gewünscht würde, wäre das Fernsehen sofort dabei. Aber Lady Di ist eben interessanter. Manfred Riepe
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