piwik no script img

Geheiratet wird nicht

■ Immer wenn der Unterhaltungsgeräteindustrie nichts mehr einfällt, schreibt sie die Ehe von PC und TV ins Aufgebot

Vielleicht ist das größte Problem mit all diesen schönen, neuen Geräten auf der IFA, daß sie alle auch nur aussehen wie Fernseher. Und daß das, was ihre Bildschirme zeigen, auch nur Fernsehen ist. Gut, es gibt ein paar Geräte, die können neben „Derrick“ und „Schreinemakers“ auch etwas zeigen, das wie ein Internet-Computerbildschirm aussieht. Bei Grundig steht in Halle 23 ein kleiner Kasten, der die Netzwelt ganz einfach in die Glotze zaubern soll. Loewe Opta hat in Halle 6 die Chips gleich eingebaut. Wieder einmal wird das Verschmelzen von PC und TV prophezeit: Glotzen soll Surfen werden und umgekehrt.

Die Marktchancen für seine „Web-Box“ findet Grundig-Sprecher Roland Stehle „sehr gut, weil auf mittlere Sicht 60 Prozent der Haushalte keinen PC kaufen werden“. Aber außer den Herstellern glauben nur wenige Beobachter des Medienverhaltens, daß da Welten zusammenwachsen. Die Pleite mit dem interaktiven Fernsehen zeigt: Der Glotzer will inaktiv fernsehen, nicht interaktiv – im Wohnzimmer. Der Surfer dagegen will aktiv surfen – im Arbeitszimmer. Zwar kommt künftig bei vielen das Büro nach Hause, doch abschalten wollen die vermutlich auch woanders.

Zudem gibt es technische Probleme. Die Browser-Software, die etwa Grundig benutzt, kann viele Internet-Seiten gar nicht aufbereiten. Um Text- und Bildgraphiken in gewohnter Form zu bekommen, braucht man einen hochauflösenden Bildschirm – und der ist schweineteuer. Und keiner kennt bislang ein schlüssiges Marketing- argument, um den Kunden die Sache schmackhaft zu machen. „Web-TV könnte das letzte Produkt sein, das die herkömmliche Unterhaltungsgeräteindustrie auf den Markt wirft“, meint Hubert Eisner, der für den Hamburger Bauer-Verlag elektronische Projekte entwickelt. Auf der Geräteherstellerebene wächst durchaus zusammen, was auf der Zuschauerebene nicht zusammengehört.

Die PC-Hersteller drängen in die Unterhaltungselektronik, denn in der digitalen Zukunft bestehen die Kästen ohnehin aus PC-Chips. So entwickeln Compaq, Intel und Microsoft in den USA einen Digital-TV-Standard. Kein Zufall, daß mit Loewe und Grundig die ehrwürdigen Tüftlerbuden aus der Fernsehtruhenzeit nun „Web-TV“ propagieren. Und es geht noch weiter: Microsoft etwa beginnt mit dem Joint-venture MSNBC, auch die „Inhalte“ selbst zu liefern. In Deutschland startete MSNBC auf der IFA sein Kooperationsprojekt mit dem ZDF für dessen Web-Angebot. „Hier werden Marktsegmente neu aufgeteilt“, sagt Eisner besorgt, der mit dem Printhaus Bauer einen klassischen „Inhaltsanbieter“ vertritt. Man werde jedoch immer spezifische Inhalte für die Fernseh- und Internetoberfläche entwickeln müssen.

So sieht es auch der Wiesbadener Medienwirtschaftler Peter Bienert: „TV bleibt nur als Inhalt und Produktionssegment eigenständig“, sagte er auf einem Kongreß am Rande der IFA. „Aus der Sicht von Verteilungsweg und Endgerät ist TV nur noch ein Dienst im Spektrum von universellem Home Entertainment und Information.“ Soll heißen: Es gibt keine Ehe, aber ein Verhältnis. Lutz Meier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen