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Frolic Youth

Gedärme zu Trockenfutter: Thirza Bruncken inszeniert „American Psycho“ von Bret Easton Ellis am Hamburger Schauspielhaus  ■ Von Petra Kohse

Bei dem Versuch, das Unsichtbare künstlerisch ins Bild zu setzen, schonen sich unsere Theatermacher an keiner Front. Christoph Schlingensief bereitet ein Millionenpublikum von Arbeitslosen symbolisch auf die Rückeroberung der Gesellschaft vor („Bringt mir den Kopf von...“), Thirza Bruncken warnt Kleingruppen vor der Entmenschlichung der Reichen im nächsten Jahrtausend. Staatstheaterkompatibel ist beides, und bald wohnt beides gar unter einem Dach. Denn im Hamburger Schauspielhaus, in dessen Malersaal Bruncken am Samstag „American Psycho“ von Bret Easton Ellis herausbrachte, tritt Schlingensief im Oktober mit einer „Bahnhofsmission“ auf. Zumindest im Norden der Republik wird nachher also keiner sagen dürfen, er habe von den Vorgängen an den Rändern nichts gewußt.

Thirza Bruncken, die mit ihrer letzten Malersaal-Produktion, „Stecken, Stab und Stangl“ von Elfriede Jelinek, beim diesjährigen Berliner Theatertreffen vertreten war, hat eine Vorliebe für zeitgenössische Texte. Was bedeutet, daß sich die 39jährige Regisseurin statt auf klassischer Handlungsdramatik herumzutänzeln, zuweilen der schieren, nackten Sprache stellt. So auch hier. Was Buch ist, soll Theater werden, das Yuppie Horror Picture Skript, das der damals 25jährige US-Amerikaner Ellis 1989 in deutlich gesellschaftskritischer Absicht verfaßte, ist der Ausgangspunkt für eine Kammer- Improvisation von vier Schauspielern auf blauem Samt.

Patrick Bateman, der Ich-Erzähler des 550seitigen Werkes, ist ein Massenmörder und doch das vielleicht einzige leidende Wesen in der hermetischen Warenwelt des New Yorker Wall-Street-Volkes. Er will doch nur, daß man ihn liebt, und auf der Suche nach etwas Innerem, Tieferem wühlt er aufs grauenvollste in menschlichen Körpern. Daneben geht es mit der gleichen nüchternen Akkuratesse in der Beschreibung seitenlang um Herren- und Damen-Outfits, Einrichtungsgegenstände, Drogenroutine oder Restauranttristesse – und ab und zu sind entgleiste musikalische Abhandlungen eingeschaltet, in denen etwa Phil Collins zum Genie stilisiert wird. Das alles hat seine Konsequenz und seinen Witz, kommt einem in den vorwurfsvollen Nivellierungen aber auch allzu eifrig vor.

Phil Collins oder Whitney Houston erspart Thirza Bruncken ihrem Publikum, wie sie die Konkretionen der Vorlage ohnehin stilisiert hat. In wechselnden Rollen sprechen Barbara Nüsse und Sabine Wegner, Jörg Pose und Roland Renner mit gekünstelten Stimmen Versatzstücke aus dem Text, sich in ihren apricotfarbenen Kostümen, Anzügen, Hemden, Schuhen und Strümpfen und unter den weißblonden Perücken meist androidenhaft steif bewegend. Die samtbezogene Spielfläche von Jens Kilian, die den einreihig drumherum plazierten Zuschauern bis zur Brust reicht, hat vier quadratische Vertiefungen, in denen die von Ellis technisch detailliert geschilderten Folterszenen wieder in den Bereich des Unaussprechlichen verwiesen werden.

Ganz offenbar will Thirza Bruncken nicht einfach eine schöne, neue Splatterwelt abbilden, will keine dekadente Hipness aufkommen lassen, sondern in der Überzeichnung wie in der Abstraktion deutlich machen, daß es noch nicht zu spät ist. Was bei Ellis anklagende, aber in seiner Radikalität auch amüsante Resignation ist, wird hier zur Mahnung geläutert. Wohl deswegen sind die Schauspieler auch zehn bis zwanzig Jahre älter als die Figuren, die sie spielen. In die Kluft zwischen behaupteter Jugend und sichtbarer Reife legt Bruncken die Möglichkeit des Einhaltens, wie sie später auch ein christliches Kreuz an der Wand aufleuchten läßt und gegen die Trostlosigkeit des Daseins den Schutzzauber deutscher Romantik entfaltet. Mit Goethe und Schubert im Kunstlied vereint, scheint das Tragische – „Erlkönig hat mir ein Leids getan“ – wieder möglich und das Leben wieder nah. Es muß nicht kommen, wie es kommen muß – seid wachsam, bildet Gruppen!

Es könnte auch anders gemeint sein. Bruncken könnte die Sache auf die Spitze treiben, das Kunstlied ironisieren und deutsche Innerlichkeit sowie mögliche Reifung frech ad absurdum führen wollen, um zu sagen: Gute Nacht. Aber abgesehen davon, daß das ziemlich hysterisch wäre, gibt die Inszenierung soviel Zynismus gar nicht her. Ein Schnitzel wird geklopft, mit Eigelb bestrichen und lange in die Höhe gehalten. Es kommt zu einem vorwurfsvollen Potpourri von Standardtänzen und zu einer angestrengt aufs Punkige zielenden Version von „Imagine“.

Immer wieder klettern die Darsteller zwischen den Zuschauern von der Spielfläche herab, verlassen auch mehrfach ganz den Raum, kommen dann zurück und knallen vielleicht eine Aktentasche an die Wand. Pornographische Absätze im Chor, schnelle Dialoge, Beschreibungen, dazwischen lange Pausen. Wie die Sprache zusammengefügt und rhythmisiert ist, funktioniert durchaus. Bildnerisch aber ist die Sache furchtbar kraftlos und peinlich. Zumindest, wenn gezeigt werden soll, wie schlimm es um die Welt steht. Sobald die Schauspieler aber zu Schuberts Klängen zu singen beginnen, leuchten sie engelsgleich aus ihren geschmacklosen Kostümen heraus. All die Marken, die hier eh keiner kennt sind vergessen, die falschen Schreie und das blöde Gefuchtel mit der Bohrmaschine auch. Wenn der letzte Ton verklungen ist, könnten sie zu spielen beginnen, hätten eine Geschichte und ein Geheimnis, und umstandslos würde die Bühne etwas füllen, von dessen Verschwinden Baudrillard letztgültig im Programmheft dräut: die Illusion. Das Theater könnte über die Beweisführung siegen, daß etwas wie das Theater siegen könnte – aber soweit läßt Thirza Bruncken es nicht kommen, wo bliebe denn hier die Kritik! Wenn Schlingensief auf seiner Suche nach wahren Bildern oft allzu katholisch wirkt, so neigt Bruncken akut dem Protestantischen zu.

„American Psycho“ von Brett Easton Ellis. Regie: Thirza Bruncken. Bühne: Jens Kilian. Musik: Joachim Kuntzsch. Darsteller: Barbara Nüsse, Jörg Pose, Roland Renner, Sabine Wegner. Weitere Aufführungen: 15./16., 19./20.

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