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Totenmasken küßt man nicht

Was gibt's Neues an der Identitäten-Front? „Short Cuts“ in Essen zeigt viel Oberfläche und wenig Körpergefühl am Ende des Milleniums  ■ Von Martin Pesch

Wer von Dortmund nicht mehr kennt als die Mannschaftsaufstellung der Borussia, wird nicht wissen, daß sich dort unter dem Kürzel DASA ein Schmuckstück heute praktizierter Museumspädagogik befindet. Die Deutsche Arbeitsschutzausstellung – so der volle Name – ist dem entsprechenden Bundesministerium unterstellt und gilt deshalb als „das Museum vom Norbert Blüm“. Man kann sich dort, geleitet von hygienisch wattierten Kopfhörern, durch die Geschichte der Arbeit leiten lassen und sich über interaktive Gimmicks freuen.

Hinter allem steht die wichtige Erfahrung, daß der arbeitende Mensch – ob am Hochofen oder vor dem Computer – steter Gefahr ausgesetzt ist. Ohrenschutz, Schutzbrille, Rückenschule – alles Erfindungen, um den Körper im Produktionprozeß funktionstüchtig zu erhalten. Um dieses lohnenswerte Unterfangen wiederum dem Geist zu vermitteln, der zum Körper gehört, braucht es bestimmte Bilder vom Körper, die ihn als verletzbar und funktionstüchtig zeigen.

Schon deswegen ist die DASA ein geeigneter Ort für Kunst, die sich mit dem Bild vom Körper beschäftigt. „Short Cuts: Anschlüsse an den Körper. Ein Cross-over durch Kunst, Wissenschaft und KörperBilder“ ist der etwas langatmige Titel einer Ausstellung, die diese Chance nutzt. Initiiert wurde die Schau, bei der Arbeiten von 17 internationalen KünstlerInnen zu sehen sind, von hARTware projekte e.V., einem vom Umfeld des Dortmunder Künstlerhauses getragenen Verein. Gezeigt werden Fotos, Videos, Installationen und interaktive Computerarbeiten. Die Kunsthistorikerin Iris Dressler, die zusammen mit dem Künstler Hans D. Christ die Ausstellung kuratiert hat, sagt, es sei ihnen um „Oberflächen“ gegangen und nicht um „Körpergefühl“.

Dressler und Christ wissen, daß ihr Thema seit einigen Jahren ein Lieblingssujet des Kunstbetriebs vom Kunstmagazin bis zur Großausstellung ist. Die von ihnen zusammengestellte Auswahl lebt von dem ungewöhnlichen Ort, einer genauen Inszenierung und dem Anspruch, junge und großteils noch unbekannte KünstlerInnen zu zeigen. Nur Timm Ulrichs, Jahrgang 1940, ist wieder der älteste. Sein Foto des geschlossenen Augenlides, auf das „The End“ tätowiert worden ist, hängt am Beginn der auf zwei Räume verteilten Ausstellung.

Beginnt man den Rundgang auf der anderen Seite, wird man erst einmal durchleuchtet. Die „Body Research Machine“ des Spaniers Daniel Garcia Andújar ist eine humorige Passage, die mittels einer pompösen Apparatur vorgibt, den durchschreitenden Besuchern Informationen über sie in Form abgescannter Daten zu vermitteln. Das High-Tech-Brimborium entlarvt sich spätestens dann als Fake, wenn nach Betätigen des Scan- Schalters Rauch aufsteigt. Diese Art von Phantasien, man könne Menschen aus der Retorte oder einer Datenessenz zaubern, bringt die Gen- und Klontechnologie auf eine Stufe, die Mary Shelley schon überwunden hatte.

Auffallend wenige KünstlerInnen beschäftigen sich mit zwei Aspekten, die in den letzten Jahren mit dem Körper und seinem Abbild in der Kunst beleuchtet wurden: Mit der Gentechnologie und dem Spannungsfeld von Sex und Gender. Die US-Amerikanerin Janine Antoni widmet sich noch am deutlichsten der letztgenannten Thematik – und dies in einer schon leicht altbackenen Form. Ihre dreiteilige Fotoarbeit „Mom and Dad“ zeigt ein älteres Paar, das durch Make-up und Styling seine sexuelle Identität tauscht.

Überhaupt bleiben die gezeigten Fotografien in der nun schon einige Jahre nicht abflauenden Flut von künstlerisch produzierten Körperbildern in technisch-handwerklicher Ausführung stecken, weil ihr inhaltlicher Anspruch längst ausformuliert ist. Etwa Bea de Vissers „Getting back through you“, acht Porträts von Personen, die das Gesicht der Künstlerin überblenden. Oder Frank Göldners Serie „O.T.“, bei der die Haut der Porträtierten durch einen technischen Trick durchscheinend wirkt. Überzeugend dagegen die Installation „Ugly Casting“ von Gabriele Leidloff. Auf elf Fotografien zeigt sie Totenmasken. In der Bilderfolge ergibt sich die Klischeeszene eines Kusses. Die Sequenz von Stills wird in einem Video wiederum in Bewegung versetzt. Ein den Totenmasken ähnliches Arbeitsmaterial benutzt Zoe Leonard. Die US-Amerikanerin – als documenta-IX-Künstlerin die prominenteste Teilnehmerin dieser Ausstellung – inszeniert anatomische Modelle und spielt mit dem Widerspruch zwischen subjektiv empfundener Scham und einer Wissenschaftlichkeit, in deren Namen der Körper als Forschungsobjekt fungiert.

Spektakulär gegenüber dem Großteil der eher ruhigen und gegenüber dem Thema zurückhaltenden Arbeiten ist „Ritual 1-2 & 3“ des Holländers Peter Bogers. Bei ihm gibt das Ticken einer Wanduhr den Takt an. Dazu laufen Echtzeitbilder aus verschiedenen anderen Ausstellungsräumen über die Wand, oder man sieht sich selbst, während man von Bogers' Videoarbeiten erwischt wird. Auf dem Boden bilden zwölf TV-Apparate einen Kreis. Die laufenden Szenen sind so geschaltet, daß jeder Bildschirm nacheinander eine aus Filmen gesampelte Gewaltszene kurz zeigt und dann einfriert. So entsteht eine endlose Sequenz von Fausthieben und Einschüssen. Man selbst steht mittendrin und dreht sich mit.

Man kann sich auch vor einen kleineren Videoschirm setzen und ineinander überblendete Loops von Actionszenen anschauen. Über Kopfhörer hört man einen DJ-Set-ähnlichen Soundtrack, in dem die Beats Schüsse und Schläge sind. Man weiß zwar, daß die von Bogers benutzten Quellen unser Körperbild prägen, als einzige Arbeit der Ausstellung macht er durch die Vehemenz seiner Manipulation aber klar, daß mit dieser Prägung etwas nicht stimmt.

Danach kann man sich auf E.R. Sonntags „Omo“ genanntem Gummisitz ausruhen und ein unhörbares, stetig den Körper durchdringendes Wummern spüren, bis die von Bogers gesammelten Körperbilder langsam dem Hirn entweichen. Ganz werden sie leider nicht verschwinden.

„Short Cuts – Anschlüsse an den Körper“, bis 5.10., Deutsche Arbeitsschutzausstellung, Dortmund

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