: Die Erotik des Apfelmanns
■ Ligeti und Xenakis, von der Kammerphilharmonie gespielt, von Mathematiker Peitgen erläutert, von den Gästen bejubelt in der DASA
Zur Zeit ist es gerade allgemein-gemeiner Brauch, das Existenzrecht von allem und jedem anzuzweifeln: Renten, Paparazzi, Asyl, Zigaretten und gefärbte Gummibärchen. Bei der Raumfahrt aber graben sich die bedenkentragenden Runzeln mit besonderem Killerinstinkt ins allgemeine Gewissen ein. Die Raumfahrt hat's aber auch schwer. Kaum kann sie mit hartem Nutzen für sich werben. Faszination ist ihr einziges Lockmittel. Gut trifft es sich da, daß es das Apfelmännchen gibt. Es verstrahlt Sex Appeal. Dabei hat es nicht mal blonde Haare, und sein Hintern ist bedenklich fett. Fein paßt es auch, daß Bremen mit Heinz-Otto Peitgen einen Chaoten von hoher Reputation beherbergt. Ein geschickter Coup also von der DASA, nicht einfach nur ein Konzert zu sponsern, sondern gleichzeitig für die hehren Wunder der Naturwissenschaft zu begeistern.
Das sogenannte Gesprächskonzert ist umstritten, seit es existiert. Wenn Justus Frantz ein Klavierkonzert erklärt, wünscht man sich mit Beethovenscher Taubheit geschlagen zu sein. Der Musikwissenschaftler und Pianist Siegfried Mauser dagegen erzeugt bisweilen absolute Erleuchtungserlebnisse. Das genialste Gesprächskonzert aber existiert noch immer auf Papier, in Thomas Manns Doktor Faustus. Daran ändert auch Peitgen nichts.
Er will nicht Verstehen machen, sondern Staunen. Zum Beispiel sein Näherbringen von Jean-Claude Risset: Der erzeugte Wahrnehmungstäuschungen mit simpelsten Mitteln. Da wird zum Beispiel ein pulsierender Ton, sagen wir mal halbe Notenwerte, immer langsamer. Allmählich werden Zwischentöne, das wären dann Viertelwerte, untergejubelt, erst ganz leise, kaum hörbar, dann immer lauter. Am Ende deuten wir nicht mehr die Halben, sondern diese Viertel als neues Grundmetrum – und wundern uns, daß die Musik schneller geworden ist, obwohl doch das Pochen der Halben sukzessive langsamer wurde. Mit einer Graphik wäre der Trick in ein paar Sekunden zu erklären. Aber seit Stephen Hawkins läßt uns die Wissenschaftsgarde lieber kuhäugig wundern und bewundern. Die DASA freut's vermutlich.
Trotzdem: die Idee, zeitgenössische Musik einem klassischen Klassikconsumer nahezubringen mittels Einsatz elaborierten Equipments, von der anheimelnden Lagerhallenromantik des Aufführungsorts über Bild- und Filmprojektionen verdient natürlich Hochachtung. Ganz aber traut man den erläuterten, gepriesenen Reizen der Avantgarde-Musik doch nicht über den Weg und klatscht über Ligetis Metronom-Summen einen filmischen Dauergimmick, übrigens sehr nett ausgewählt: diese Etüde laufender Katastrophen glaubt nämlich noch – ganz unzeitgeistig – an die unaufhaltsame (zerstörerische) Macht der Kausalität: eine vom Tisch fallende Kerze bringt einen Teppich zum Entflammen, das bringt einen Wassereimer zum Überkochen, das bringt eine Kugel zum Davonrutschen etc...
Die Auswahl der von der Kammerphilharmonie unter Christian Hommel mit Vorzeigegeiger Christian Tetzlaff aufgeführten Stücke ist, gemessen am Ziel des Näher-bringens, absolut ideal.
Iannis Xenakis schrieb 1969 sein erstes ausschließlich Percussionsinstrumenten gewidmetes Stück. Seitdem diskutiert er immer wieder in freiwilliger Selbstbeschränkung auf den Parameter Rhythmus die großen Themen der klassischen Musik durch: das Verhältnis von Solo zur Gruppe (oder concertino zu tutti) und den Wechsel von Polyphonie zu Homophonie, von der Eigenständigkeit der Metren zur kollektiven Einigung auf einen ostinaten Rhythmus, vital, überwältigend, archaisch. Der Zauber von Strawinskys stampfend-stolpernd-stampfenden „Le Sacre du Printemps“ist in Xenakis „Le Plèiades“für sechs wilde, klöppelwirbelnde Musiker in jungfräulicher Frische auferstanden.
Ein Ligeti, der einst 10 Minuten reine, unbefleckte Stille für aufführenswert hielt und damit lärmigen Protest einheimste, beginnt sein Violinkonzert natürlich anders. Aus dem Nichts wispert uns die Geige entgegen, in diffusen Tonhöhen zirkulierend. Auch er denkt weniger in melodisch-thematischen Kategorien, sondern in denen der Klangfarben. Klänge verdichten sich, werden ausgedünnt und manchmal scheint der Zuhörer einen Raum zu verlassen, die Türe schließt sich – und ein neuer Klang liegt in der Luft.
Sowohl Xenakis als auch Ligeti interessieren sich für schillernd-diffuse Wahrnehmung. Bei Xenakis hängt der Hörer zwischen verschiedenen Metren und sein Fuß weiß nicht mehr, welches mitwippen. Bei Ligeti sieht sich das Ohr verstrickt in Clustern. Das klare Nachvollziehen von ein/zwei/drei Melodielinien ist nicht mehr möglich. Das kausale Weltbild ist damit aber noch lange nicht zum Einsturz gebracht; gute Gründe für das Finanzieren neuer Weltraumprojekte muß man sich dennoch einfallen lassen. Und M.C. Escher, auf den Ligeti übrigens schon mit seinem Continuum für Cembalo rekurrierte und den Peitgen so sehr schätzt, ist nichts anderes als ein liebenswerter Gaukler. Er spielt mit der Dreidimensionalität. Widerlegen kann er sie nicht.
bk
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