Das ganze Leben – ein Baguette

■ Institut Francais zeigt Ausstellung „50 Jahre französische Philosophie“

Ein Mensch, aus dessen Augenwinkeln schon leicht der Wahnsinn blinzelt, und der, nach dem eigenen Befinden befragt, entweder in tiefe Depression verfällt oder seine Antwort mit „phänomenologisch und ontologisch“beginnt: Seien sie ehrlich; so stellen sie sich einen Philosophen vor. Maler semmeln sich halt die Lauscher ab, SchriftstellerInnen sind kreative SäuferInnen, MusikerInnen sind in der Regel halbnackt und fassen sich ständig in den Schritt – und PhilosophInnen werfen eben die Stirn in schlaue Wellen und gucken schwer gestört in die Gegend.

Nun ja, richtig schlau blickt der berühmte französische Philosoph Paul Ricoeur nicht aus der Wäsche. Tatsächlich eher etwas verwirrt. Selbst das Krokodil auf seiner Lacôstestrickjacke scheint sich vor Lachen zu biegen. Aber Ricoeur schmunzelt glücklich. Seine Brille hängt ihm auf der Stirn, falsch herum, er sieht also nichts. Oder vielmehr alles: Denn PhilosophInnen sehen die Welt bekanntlich mit dem Hirn.

Ricoeur ist ein großer Ironiker, eine Gabe, die nur wenigen PhilosophInnen eigen ist, die das Institut Francais im Zuge seiner vierteiligen Ausstellung „50 Ans de Philosophie Francaise“zeigt. Womöglich liegt es aber auch an der Zeit, der sich der erste Teil widmet, daß Philosophie so existentiell und ernst wirkt.

Die 25 Schautafeln, die mittels Portäts, Büchern, Zitaten und kurzen französischsprachigen Texten die Stimmungen und Protagonisten der 50er Jahre erinnern, bezeugen schwergewichtige, spannende und dramatische Auseinandersetzungen. Weltbekannte Zeitschriften wie Sartres „Les Temps Modernes“oder „Socialisme ou Barbarie“wurden aus der Taufe gehoben. Existentialismus, Algerienkrieg, Stalinismus und Ungarnkrise bewegten die Köpfe, berühmte Freundschaften, etwa zwischen Merleau-Ponty, Camus und Sartre, zerbrachen. Die Nachbarwissenschaften Ethnologie, Psychologie, Medizin oder Soziologie wurden entdeckt, die PhilosophInnen waren eine pulsierende Avantgarde und noch so fern vom dämlichen Tele-Geplapper eines André Glucksmann oder Bernard-Henri Lévy.

All das macht die Ausstellung anschaulich, auch wenn sie optisch niemanden aus den Socken hauen wird. Man muß halt viel lesen: Ein intellektueller, weniger ein ästhetischer Genuß. Und der Lohn der Mühe sind, halt richtig philosophisch, bittere Erkenntnisse: Sartre, Lèvinas, Goldmann und der Sozialismus: mittlerweile alle tot. Das ganze Leben – ein Baguette. Der Leib wird bröselig, aber die Ideen, sie bleiben. Ewig. zott

Der erste Teil der historischen Ausstellung „50 Ans de Philosophie Francaise“ist bis zum 28. November im Institut Francais, Contrescarpe 19, zu sehen