: Und allabendlich ein schottisches Moorhuhn
Ein detailreiches amerikanisches Buch über die Royals, das frei von den gängigen Mystifizierungen ist, darf in England nicht verkauft werden ■ Von Christopher Hird
Es ist schick, über Kitty Kelleys Buch „The Royals“, das in britischen Buchhandlungen nicht verkauft werden darf, die Nase zu rümpfen. Professor Ben Pimlott zum Beispiel nannte es im Guardian einen „dreisten Witz“, „kalt wie ein totes Moorhuhn“; er empfahl jedem, der „vorhatte, zum Buchkauf in die USA zu fliegen, sein Ticket schleunigst zurückzugeben“, denn „historische Forschung ist nicht Miss Kelleys Stärke“. Und Professor David Cannadine bezeichnete es in der London Review of Books als „so schlecht, daß man froh sein kann, daß es nicht in unsere Buchhandlungen kommt“; es sei „so ohne jede historische Perspektive oder historischen Kontext, ohne etwas Neues oder Interessantes zu sagen zu haben, jeglicher klaren Argumentation oder übergreifenden Perspektive abhold, zwanghaft lüstern nach menschlichen Schwächen und in einer Sprache verfaßt, die selbst die Schreiberlinge der Boulevardpresse zu skrupulösen Autoren macht“.
Wir wollen doch hoffen, daß all das auch ein Quentchen Ironie enthält. Oder meint Cannadine wirklich, daß ein Mangel an historischer Perspektive oder das Interesse an menschlichen Schwächen Grund genug ist, uns, die wir nicht ständig Bücher mit historischem Kontext und zahllosen Fußnoten schreiben, die Veröffentlichung zu ersparen? Und warum sollten wir nicht an den privaten Fehlbarkeiten einer Familie interessiert sein, die uns seit Ende des Krieges als ein Ausbund an Tugend und als Modellfamilie vorgeführt wurde? Wobei sich dieses Interesse weniger auf die Fehlbarkeiten an sich richtet als auf die maßlose Scheinheiligkeit dieser Familie.
Wir wissen längst, daß sie Affären haben, daß der Duke von Windsor die Faschisten unterstützte, daß sie sich rüpelhaft benehmen und unfähig zu jeder normalen menschlichen Beziehung sind. Doch für die Einzelheiten müßte man wirklich jedes Buch über sie gelesen und jeden Schnipsel der Boulevardpresse aufbewahrt haben. Wer das nicht getan hat, der wird aus Kelleys Buch durchaus Neues erfahren.
Und es ist ein tolles Buch. Man kann es nicht lesen, ohne am Ende der Selbstbeschreibung der Queen Mother zuzustimmen: „Sie denken, ich sei ein netter Mensch. Aber ich bin nicht wirklich nett.“ Sie ist wirklich überhaupt nicht nett – nicht ein einziger aus dieser Familie ist das. Kitty Kelley ist gewiß keine Revolutionärin, aber sie steht politisch in einer republikanischen Tradition. Ihr Buch ist vor allem deshalb so attraktiv, weil es nicht den kleinsten Hauch jener Mystifizierung aufweist, von der so viele Bücher britischer Autoren über die Monarchie und die Königsfamilie infiziert sind.
Teil dieser Mystifizierung – immer noch ungebrochen – ist beispielsweise die angeblich so starke Verbundenheit der Königsfamilie mit ihrem Volk während des Zweiten Weltkriegs. Kelleys Buch zeichnet ein etwas anderes Bild. „König und Königin umgingen die strengen Lebensmittelrationierungen und tafelten regelmäßig mit Roastbeef und Champagner. Die Butter zierte das Königswappen.“ Während man in Londoner Restaurants nur fest eingeteilte Mengen essen konnte, „bestellte der König täglich zum Frühstück zwei Eier und sechs Scheiben gegrillten Schinken und aß in der Jagdsaison allabendlich schottisches Moorhuhn.“
Nach dem Krieg lebte die Bevölkerung weiter von strikt rationierten Zuteilungen, während Prinzessin Elizabeth im Luxus schwelgte. So erhielt die Königsfamilie zu den 66 Abschnitten der Kleiderkarte gewöhnlicher Sterblicher noch 160 zusätzliche – und als sie auf Tour nach Südafrika gingen, kamen noch beeindruckende 4.329 dazu. Die privilegierte Behandlung der Königsfamilie während der Rationierung ist natürlich keine neue Enthüllung; die Millionen, die 1993 den Artikel von Dr. Ina Zweiniger-Bargielowski in History Today gelesen haben (eine Quelle, die Kelley angibt), wußten das schon länger.
Der Lebensstandard der Queen ist atemberaubend, vor allem, wenn man ihn mit dem von ihr verbreiteten Bild der bescheidenen Monarchin vergleicht. Im November 1950 reiste Prinzessin Elizabeth für drei Monate nach Malta. „Begleitet von ihrer Kammerzofe, ihrem Diener und einem Privatdetektiv kam sie auf die Insel: mit ihrem Sportwagen, 40 Kofferschränken und einem neuen Polopferd für ihren Mann.“ Im darauffolgenden Jahr fuhr sie mit 189 Kofferschränken nach Kanada.
Vorsichtig mit Geld sind die Royals nur bei der Entlohnung ihrer Diener. John Barrat, Ex-Sekretär von Lord Mountbattan, sagt: „Alle Windsors sind Pfennigfuchser.“ Weihnachtsgeschenke für die Dienerschaft waren Heizlüfter, Badematten und, von Prinzessin Margaret, eine Klobürste. Als 1993 die öffentliche Empörung über den Reichtum der Familie wuchs, begann die Queen zu sparen: Ihr Chauffeur (Jahreseinkommen knapp 17.000 Mark) mußte nun seine Schuhe selbst bezahlen und Teile der noch schlechter verdienenden Dienerschaft ihre Seife selbst kaufen. Diesen notorischen Geiz vermerkt auch ein Buch von Wendy Berry („The Housekeeper's Diary“, Barricade Books, New York 1995), das in Großbritannien ebenfalls nicht erhältlich ist.
Prinz Charles überzeugte die britischen Gerichte von einem Verbot des Berry-Buches mit der Begründung, sie habe ihren Arbeitsvertrag gebrochen. Man kann durchaus verstehen, daß Charles das Buch verhindern wollte, denn es zeigt, daß der Vertrag, der gebrochen worden war, der zwischen ihm und seinen Untertanen war. Sein Verbotsantrag war Teil der alten Tradition, das Volk über alles, was die Königsfamilie betrifft, lieber in Unkenntnis zu lassen. Und wo die Royals lockerlassen, greifen die britischen Rufmord-Gesetze.
Wenn ihnen die Gerichte nicht zur Verfügung stehen, verlegen sich die Royals aufs Lügen. Die Queen Mother verbarg die Krankheit George VI bei öffentlichen Auftritten unter etwas Rouge, Bedienstete waren verpflichtet, dies zu leugnen. In den 50ern wettete die Königin regelmäßig bei Pferderennen, zweimal errang sie den ersten Platz auf der Liste pferdebesitzender Wettsieger. Die offizielle Palastversion war dagegen immer, sie liebe zwar Pferde, beteilige sich jedoch nicht an Wetten.
Noch 1973 hieß es, Prinzessin Anne und Mark Phillips seien einander nie begegnet – tatsächlich standen sie da kurz vor ihrer offiziellen Verlobung. Und wie wir wissen, wurden wieder und wieder Lügen über den Zustand der Ehe von Prinz Charles und Diana verbreitet. Als ein Polizeischutzbeamter in Highgrove wahrheitsgemäß erklärte, die beiden schliefen in getrennten Schlafzimmern, wurde das kategorisch dementiert. Und als Andrew Mortons Buch über Diana erschien, wurde es als „grotesk“ bezeichnet. Wie seine neueste Ausgabe bestätigt, war es aber schrecklich exakt. Dabei war der Palast mit seinen Angriffen gegen Mortons Buch nicht allein. Fast das gesamte britische Establishment und seine Freunde in den Medien – einschließlich der Beschwerdekommission der Presse – schlossen sich an. Das läßt sie heute ziemlich dumm dastehen. Aber wie Kelley zeigt, hat die Komplizenschaft der britischen Presse bezüglich der Verbreitung eines bestimmten Bildes von der Königsfamilie eine lange Tradition.
Als Prinz Charles das Tadsch Mahal besuchte – damals war er mit Diana bereits verlobt, setzte seine Affäre mit Camilla Parker-Bowles jedoch fort –, sagte er: „Ich bin sehr angetan von der Tatsache, daß ich, würde ich Moslem werden, viele Frauen haben könnte.“ Keiner der ihn begleitenden Presseleute berichtete darüber. Als die Queen den Reporter James Whittaker anfauchte „Fuck off“, umschrieb dieser das mit „Go away“. Und der Independent akzeptierte die Bitte von Prinz Philip, den Teil eines Interviews mit ihm nicht zu drucken, in dem er den früheren französischen Präsidenten Vincent Auriol als „frightful buggerer“, gräßlichen Arschficker, bezeichnet hatte.
Das mag im einzelnen alles ziemlich trivial erscheinen. Im Ganzen gesehen illustriert es jedoch, wie die britische Presse bis vor kurzem nicht bereit war, die Wahrheit über die zu berichten, die auf dem Thron oder in seiner Nähe sitzen. Oder kennt man etwa die folgenden Bemerkungen von Prinzessin Margaret? Laut Kitty Kelley beschrieb sie „Schindlers Liste“ als einen „langweiligen Film über Juden“. Über den Präsidenten von Guiana sagte sie: „Er ist alles, was ich eklig finde. Er ist schwarz und mit einer Jüdin verheiratet; und die ist auch noch Amerikanerin.“ Zusammen mit ihrem damaligen Ehemann forderte sie 30.000 Dollar für einen Auftritt bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in den USA; einer Freundin schickte sie deren Weihnachtsgeschenk gegen Auszahlung in bar zurück.
Kelley berichtet auch von Dianas Homophobie, die sich darin äußerte, daß sie aus Furcht vor einer Beeinflussung ihrer Söhne fast alle schwulen Angestellten entließ; über den Verdacht, daß Prinz Andrews Vater in Wahrheit Lord Porchester sei; die Geschichte, als Prinz Philip einen Chauffeur der amerikanischen Regierung ohrfeigte, weil der Befehle nur vom amerikanischen Geheimdienst und nicht vom Duke of Edinburgh entgegennehmen wollte; und wie die zwanghafte Scheidungsphobie der Königsfamilie dazu führte, daß die Queen Jackie Kennedy davon abhalten wollte, ihre Schwester zum Dinner einzuladen, weil diese geschieden war. Recht pikant, angesichts späterer Ereignisse...
Aber das Verhältnis zu Ehe und Sex ist in der Königsfamilie ohnehin eher ungewöhnlich. Prinz Philip hatte vor seiner Eheschließung mit Prinzessin Elizabeth eine ganze Reihe von Affären (mit Frauen, die ihm oft von Lord Mountbattan weitergereicht wurden) und war wegen seiner Ehe nur kurzfristig zum Bruch mit alten Gewohnheiten bereit. Kitty Kelley behauptet, daß Philip mit zwei weiteren Männern – sie nannten sich die „Three Cocketeers“ (cock = Schwanz, in Anspielung auf „Die drei Musketiere“) – junge Schauspielerinnen „unterhielt“ und auf einer viermonatigen Reise auf der königlichen Yacht einige Rendezvous hatte, von denen eines eine Tochter in Melbourne zur Folge hatte.
Falls das der Wahrheit entspricht, macht das die Haltung von Charles gegenüber Frauen verständlicher. Auch er war eine Vernunftehe eingegangen, die seine Beziehung zu Camilla Parker-Bowles nicht berühren sollte. Sie begleitete noch den Frischverlobten auf nächtlichen Reisen im königlichen Zug, und nur wenige Wochen nach der Hochzeit mit Diana war er wieder mit ihr zusammen. Hauptsächlich wegen der Sexgeschichten wird dieses Buch in Großbritannien nicht veröffentlicht werden. Das ist schade, denn wie Diana über Charles einmal sagte: „Er soll ein Beispiel für das Volk sein. Immerhin ist er der verdammte Defender of the Faith“ (Titel des Monarchen als Oberhaupt der anglikanischen Kirche; Anm.d.Ü.).
Die britische Monarchie hat die höchst bemerkenswerte Fähigkeit zu Selbsterhaltung und Neubestimmung, und wir können damit rechnen, daß sie in den kommenden Jahren nichts unversucht lassen wird, etwas von ihrer „Mystifizierung“ zu retten. Die Stärke von Kelleys Buches liegt darin, diese „Mystifizierung“ gründlich zu untergraben und alles Gerede von der Monarchie als Garant auch nur eines Anflugs von Anstand als hohl und leer zu entlarven.
Wer nur ein einziges Buch über die Royals lesen will, sollte zu diesem greifen.
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