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Ostrentner machen Urlaub im Seniorenkollektiv

■ Alte sind doch keine so schlechte Zielgruppe. Mit dem Symbol der „Volksfürsorge“ ist ein Ostberliner Reiseveranstalter zum größten Seniorenreiseanbieter Deutschlands avanciert

Berlin (taz) – Im letzten Jahr war Malta auserkoren, in diesem ist es Andalusien. Zu Ostern sind Zehntausende Alte an die Costa del Sol gepilgert, um ein gigantisches Senioren-Frühlingsfest zu feiern. Abgesehen von Wetter und Gegend sollen sie sich dort ganz wie zu Hause fühlen, verspricht das Programm. Das wird wohl auch diesmal gelingen, sind doch auch dieses Mal die Ostdeutschen unter sich. Gebucht haben sie beim Reiseklub der „Volkssolidarität“, der VSR GmbH. Was fast wie „Kraft durch Freude“ klingt, ist ein ostdeutsches Reiseunternehmen, das Kommerz und Caritas verbindet.

Seine Geschichte begann im Herbst 1990, als der Rausch der neuen Reisefreiheit die Ex-DDRler erfaßte. Der Ostberliner Kulturorganisator Klaus Lenk nutzte das Bedürfnis seiner Landsleute nach dem Kollektiv und entwickelte das Urlaubsprogramm „Gemeinsam, nicht einsam!“ Eine Idee, die die Rentner von der einzigen DDR-Wohlfahrtsorganisation „Volkssolidarität“ kannten, mit der Lenk von Anfang an kooperierte. Gemeinsam mit einem österreichischen Reiseveranstalter gründete er 1991 die VSR GmbH, Reiseklub für Senioren. Die eröffnete in allen größeren ostdeutschen Städten Reisebüros und organisierte insbesondere Gruppenfahrten für die „Volkssolidarität“.

Während das Programm anfangs vor allem Busfahrten umfaßte, darf es heute auch mal eine Karibik-Kreuzfahrt oder eine Australien-Rundreise sein. „Wir sind nie mit dem Preisköder auf Kundenfang gegangen und haben keine Werbefahrten gemacht“, sagt Verkaufsleiter Peter Krause. Die Strategie zahlt sich aus, die Alten vertrauen dem Unternehmen.

Dafür erhalten sie lückenlose Betreuung durch meist ältere Reisebegleiter, die Anwesenheit eines Reisearztes bei Veranstaltungen und Kulanz bei krankheitsbedingten Reisestornierungen. Schließlich sind die Kunden zwischen 60 und 70 Jahre alt, nicht wenige fliegen das erste Mal in ihrem Leben.

Dank seines rasanten Wachstums wurde VSR mittlerweile zum größten Seniorenreiseveranstalter in Deutschland. Wurden 1991 10.000 Reisen verkauft, waren es 1997 schon 200.000. Aus dem Vier- Mann-Betrieb entwickelte sich ein Minikonzern mit Vertriebsfirma, einem Verlag sowie der Bewirtschaftungsfirma für ein vor kurzem übernommenes 90-Betten-Klubhotel bei Wien. 1997 erwirtschafteten die inzwischen 70 Angestellten 76 Millionen Mark Jahresumsatz. In diesem Jahr dürften mit den Seniorenreisen wohl 100 Millionen umgesetzt werden. Bewußt hängt das die Geschäftsführung nicht an die große Glocke, da sich Geschäftssinn und Gemeinsinn für die im Sozialismus groß und im Nachwende-Kapitalismus mißtrauisch gewordene Kundschaft meist ausschließen.

Daß das Unternehmen dabei das positive Image der „Volkssolidarität“ nutzt, hat einen Preis, den Lenk „gern und freiwillig“ zu zahlen bereit ist. Das beginnt bei der finanziellen Abfindung für die Logo-Nutzung. Immerhin ist „Volkssolidarität“ eine Art Markenzeichen für Fürsorge und Geselligkeit – da weiß der Ostrentner, woran er ist. Schließlich war sie in der DDR die einzige Organisation, die sich um die Alten kümmerte, und vor allem in kleineren Orten ist sie es bis heute geblieben.

Dieses Klubleben aufrechtzuerhalten, bezeichnet Lenk als „wichtiges soziales Anliegen“ seiner Firma. Deshalb werden schon mal die Kosten für das Dach eines Seniorenheims übernommen oder die Mitgliederzeitschaft des Verbandes und ein sozialwissenschaftlicher Seniorenreport finanziert.

Der Unternehmensslogan „Gemeinsam, nicht einsam“ entspricht der Mentalität der Ostrentner. Noch vor drei Jahren hatte eine Umfrage der Fremdenverkehrswirtschaft ergeben, daß zwei Drittel der Rentner im Westen schon den Begriff Seniorenreisen ablehnten. Zu hausbacken und unattraktiv. Die großen Touristikkonzerne überließen das Geschäft den Mittelständlern. Ein Braunschweiger Reiseveranstalter kupferte nicht nur die Idee, sondern auch den Slogan ab. Obwohl der Marktführer aus dem Osten zunehmend Anfragen von reisewilligen Westlern bekommt, will er nicht in die alten Länder expandieren. Zu sehr ist man noch vom eigenen Erfolg überwältigt. Gunnar Leue

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