: Regentanz für Manager
In den sechziger Jahren wurde er zum Pantomime- Star. Heute ist er der große Meister der Körpersprache: Der Israeli Samy Molcho. Auch Manager und Unternehmer gehören zur Fangemeinde. Eindrücke aus der Seminarwelt für Besserverdienende ■ von Uta Andresen
Steht ein Manager vorm Sitzungssaal, große Verhandlungen vor sich, schüttelt sich mit einem kräftigen „Brrr“, rollt mit den Augen, streicht sich mit den Fingern sanft über die Wangen und hebt graziös die Arme. Aktentasche gepackt, und los geht's. So oder ähnlich muß es sich täglich in mancher Chefetage zutragen.
Denn der Erfinder dieses Regentanzes unterweist jährlich hunderte aus der Berufsgruppe der Manager in den Ausdrucksformen des menschlichen Körpers: Samy Molcho, gebürtiger Israeli und Gastprofessor für Körpersprache am Max- Reinhardt-Seminar der Wiener Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Die Beschäftigung mit dem physiologischen Apparat des Homo sapiens, die ihre Hochkonjunktur in den Zeiten der kuscheligen Sit-ins der siebziger und achtziger Jahren erlebte, hat heute ausgerechnet ihre Nische im Biotop der Politik und Wirtschaft gefunden.
Der jüngste Wahlkampf hat uns mal wieder bewiesen: Menschen wie dem Sozialdemokraten Rudolf Scharping ist die große Geste nicht gegeben. Deswegen lernte man aus den Fehlern von 1994 und schickte ihn nicht allzu oft an die Wahlkampffront. In solch schweren Fällen körperlicher Verklemmtheit ist eine gründliche Unterweisung in Körperlichkeit, in der Analyse und dem richtigen Einsatz der Brauen, Stirnfalten, Lippen, Hände, Arme, Schultern und Beine angebracht. Hilfe verspricht da selbstredend ein echter Könner, also ein Schauspieler.
Kräftiger Mann geht mit großen Schritten durch den ovalen Saal. Hin – zurück. Hin – zurück. Kaum hat er sich gesetzt, tritt Samy Molcho in Aktion: Raumgreifende Schritte, mit jedem Durchgang die Strecke verlängert, die linke Hand nach hinten geworfen. Im Takt murmelt er: „Erledigt, erledigt, erledigt...“ Keine Frage: eine Persiflage der vorangegangenen Szene. Und dann erklärt der Pantomime, was uns der Gang seines Demonstrationsobjektes sagen will: „Du hakst Sachen gerne ab – erledigt.“ Deshalb die werfende Hand. „Du interessierst dich nicht für Details.“ Deshalb die großen Schritte. „Du expandierst, sobald man dich läßt.“ Wir verstehen: Deshalb die immer längeren Wege.
Die Interpretationen schwanken zwischen Banalem und Abstrusem. Jemand verzieht das Gesicht. Bedeutung: Er ist angewidert. Wer hätte das gedacht? Jemand mit kleinen Schritten will nichts unkontrolliert lassen. Nun ja. Einer mit hängenden Armen will nicht handeln. Der mit dem schlurfenden Schritt bricht unter seiner Last schier zusammen. Lebhafte Gesten der rechten Hand wollen sagen: ratiogesteuert und handlungsbereit.
Das Ambiente allerdings, in dem Samy Molcho sein Seminar gibt, will nicht so recht zu dieser Lehrstunde über Offensichtliches und Kaffeesatzleserei für Manager passen. Ein Hamburger Vororthotel im Grünen, der Saal dezent in Holz und Chrom, moderne Kunst an den Wänden und auf der Hoffauffahrt scheckheftgepflegte Wagen. Und auch das Publikum täte sich gewöhnlich wohl schwer, ein Jahrmarktzelt aufzusuchen, um sich selbige Erkenntnisse aus der Tasse lesen zu lassen.
Versammelt sind an die zwanzig ManagerInnen und UnternehmerInnen, die meisten von ihnen in edlem Zwirn und Designerschuhen.
Alle lauschen wie in Erwartung eines ihnen gewissen Heils auf die Worte des Vortragenden. Als Tänzer und Pantomime war Samy Molcho in den sechziger Jahren ein Star – als Körpersprachler ist er ein Guru, wenn auch der einer überschaubaren Gemeinde. Die für einen Heilsbringer nötigen Eigenschaften bringt Molcho durchaus mit: einen unerschütterlichen Glauben an die „gute“, sprich die eigene Sache. Und genügend Charisma, um seine Botschaft als Rettung zu verkaufen, sowieso.
Doch wer bei Samy Molcho ein Wochenendseminar bucht, bekommt viel mehr als nur Unterweisung in der Kunst, zugleich die Schultern zu straffen und locker zu lassen. Er bekommt die Welt erklärt. Und solche Offenbarungen sind gemeinhin unbezahlbar. „Der Molcho“, wie er von seinen Jüngern ehrerbietig genannt wird, erläutert Verhandlungsstrategien, streift nebenbei die richtige Art der Kindererziehung – antiautoritär, versteht sich –, beschreibt internationale Begrüßungszeremoniells, um gleich darauf die Frage des Berufswiedereinstiegs schwangerer Frauen zu erörtern. Nein, nichts Menschliches ist ihm fremd, dem Molcho.
Der Körper, sagt Samy Molcho, sei der wahre Spiegel der Seele, denn er könne nicht lügen. Beobachte dein Gegenüber – wie er sitzt, wie er geht, wie er die Beine übereinanderschlägt –, und du weißt, was er ist.
Samy Molcho, Dozent für Körpersprache. Welcher Beruf und welche Berufung lägen näher für einen in die Jahre gekommenen Tänzer und Pantomimen? 1987 zog sich Molcho von der Bühnenarbeit zurück und reist seither als Aufklärer in Sachen Körpersprache durch unzählige Hotels, schreibt Bücher zum Thema und hält Vorträge. Ein aktives Nachbühnenleben. Immer noch zierlich und elastisch, dazu eine beachtliche Silbermähne – ganz Künstler.
Warum jemand wie er, der von sich behauptet, keine Ahnung von Wirtschaft zu haben, sein Wissen gerade in den Dienst von Managern und Unternehmern stellt, weiß Samy Molcho auch nicht so recht zu erklären. Eher zufällig sei er zu seiner Kundschaft gekommen. Bis heute kümmere sich nämlich ein persönlicher Manager um seine Geschäfte. Daß der das gut macht, steht fest: Bis zu zweitausend Mark kostet ein Wochenendseminar mit dem Meister.
Die Manager, die zu Molcho kommen, haben so ihre Gründe. Im Verkaufsgespräch schließlich geht es um zweierlei: um (zumeist viel) Geld und um Chemie. Ist der Manager in der Lage, die diffusen körperlichen Signale des Geschäftspartners zu erkennen und entsprechend zu reagieren, erhöht er seine Chancen auf Erfolg. Vorausgesetzt, der Geschäftspartner will noch überzeugt werden und hat nicht bereits eine Entscheidung getroffen. So gesehen wird die vermeintlich harte Geschäftswelt zu einer Welt der Befindlichkeiten.
Und damit zu einer Sache von Samy Molcho. Jetzt spielen Fragen dieser Art eine Rolle: Wie bewegt sich mein Geschäftspartner? Will er nun über Geld reden oder lieber über die Plastik auf meinem Bürotisch? Hat die Verkaufsstrategie Erfolg, oder muß ich meine Gesprächstaktik ändern? Ist es ihm angenehm, wenn ich ihm auf die Schulter klopfe?
Bei solch fundamentalen Fragen gerät ein Seminar schon mal zur Gruppentherapie: Daß Gestik, Mimik, Haltung einen Einfluß auf Stimmung und Gefühlslage haben, ist einer von Molchos Glaubenssätzen. Schlecht drauf, dauergrinsen und alles wird gut? „Es ist vollkommen egal, ob erst die Körperhaltung oder erst die Weltanschauung da ist – das bedingt sich gegenseitig“, ist er sicher.
Wer dem nicht Glauben schenken mag, den überzeugt Samy Molcho auf die ihm eigene Methode: Einmal ranrobben bis auf Geruchswahrnehmung, und prompt schlägt der Ungläubige die Beine übereinander, kreuzt die Arme. Und demonstriert damit die klassische Haltung der Distanz. Gerade das macht die Interpretationen der Körpersprache so glaubhaft – es sind gut aufbereitete Banalitäten.
Die Körpersprache – anderer und die eigene – zu beherrschen, ist für Samy Molcho wie „Verkehrsschilder lesen“: Man nimmt sie wahr, richtet sich nach ihnen, aber denkt nicht stundenlang über sie nach. Für ihn ist Körpersprache das elementare Kommunikationsmittel: „Für deine Nase kannst du nichts, aber für deine Art zu gehen.“ Denn die beruhe auf einer persönlichen Entscheidung – sei es bewußt oder unbewußt.
Dabei wirken Samy Molchos Bewegungen – ob beim Grimassenschneiden oder Schreitenüben – stets perfekt, locker, gelöst, voller Energie und Schwung. Merkwürdig kontrolliert. Die Beine ballettös im Neunziggradwinkel zueinandergestellt, die Arme elastisch am Körper herabhängend. Ganz Tänzer. Wer mit dreizehn anfängt, Theater zu spielen (auf einer vom israelischen Staat geförderten Kinderbühne), weiß mit Anfang sechzig, wie man sich bewegt, ohne Rätsel zu hinterlassen.
Die Eleven hingegen haben noch viel vor sich. Zwanzig Anzugträger trotten in der Runde, schlenkern mit den Armen, rollen mit den Augen, wackeln mit dem Becken. Aus denen werden keine Tänzer mehr. Was für eine Darbietung: zwanzig Menschen, gerissen aus ihrem Element, aus ihrer Welt der Zahlen, Daten, Fakten. Was treibt gestandene Unternehmer dazu, sich aus dem scheinbar sicheren Terrain ihres Büros zu begeben? Und vor allem: Wo sind die Großen, die Jürgen Schrempps oder Hilmar Koppers der Branche? Unauffindbar. Kein Bedarf. Wer hierher kommt, arbeitet gegen Defizite an. Die Unsicherheit im Auftreten ist verantwortlich für die Unsicherheit der Auftragslage.
Daß der Nutzen, der sich aus einem Körperspracheseminar ziehen läßt, schwer meßbar ist, versteht sich dabei von selbst. „Wir sprechen in Wahrscheinlichkeiten, in Akzenten, nicht in digitalisierter Genauigkeit“, mahnt Molcho. In solch wolkigem Gebiet können Erfolgsstatistiken keine Rolle spielen. Die Sicherheit und Zuversicht, die „der Molcho“ samt Mimik und Gestik seinen Kunden und Jüngern mit auf den Weg gibt, genügt. Ein Könner eben.
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