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Drei Tage im Oktober

■ Ein Oberleutnant des Kaisers leitete für die KPD den Aufstand in Barmbeck: Hans Kippenberger

„Kippenberger gehörte zu jenen Gefolgsleuten, die Thälmann besonders ergeben waren. Wegen seiner kleinbürgerlichen Herkunft ständig von Minderwertigkeitskomplexen geplagt, sah er in Thälmann nicht nur schlechthin seinen Chef, sondern auch das Urbild des proletarischen Kämpfers, das man zwar nicht erreichen könne, dem nachzueifern sich aber lohne“: Mit wenigen Zeilen würdigte der Historiker Bernd Kaufmann in seiner 1993 in Berlin erschienenen Dokumentation „Der Nachrichtendienst der KPD von 1919 – 1937“ den Mann, der vor 75 Jahren den kommunistischen Aufstand in Hamburg leitete. Drei Tage im Oktober 1923 kämpfte Hans Kippenberger mit einer Handvoll schlecht ausgerüsteter und schlecht organisierter Leute gegen Polizei und Reichswehr, dann war der Putschversuch gescheitert.

Hans Kippenberger – am 15. Januar 1898 in Leipzig geboren – kehrte aus dem Ersten Weltkrieg als Oberleutnant zurück. In Hamburg begann er, Volkswirtschaft zu studieren. 1922 übernahm der studierende Ex-Offizier, einer der wenigen in der KPD, die Leitung der Kommunistischen Studentengruppe der Partei.

Schon bald nutzte Kippenberger seine militärischen Erfahrungen, um Mitglieder der Proletarischen Hundertschaften und des KPD-Ordnerdienstes auszubilden. Er besorgte einige Waffen, mit denen er im Umland Schießübungen durchführen ließ. Die Hamburger Bezirksleitung der KPD unter Ernst Thälmann sah das mit Skepsis. Sie fürchtete, daß „diese provokatorische Handlungsweise“ zum Verbot der Hundertschaften führen könnte und enthob Kippenberger 1923 seiner Funktion als militärischer Leiter. Doch der Beschluß des Politbüros der KP Rußlands, die KPD solle in die „revolutionäre Offensive“ gehen, war in Hamburg nicht ohne Oberleutnant Kippenberger umzusetzen. Mitte Oktober wurde er von der KPD der Hansestadt mit der Planung und Durchführung eines militärischen Aufstandes beauftragt.

In seinem Beitrag für den Sammelband „Der bewaffnete Aufstand“ schilderte Kippenberger rückblickend die Lage in Barmbeck in einem langen Satz: „Nach der Befehlszuteilung über das Losschlagen am 23. Oktober um 5 Uhr morgens traf der militärische Leiter von Barmbeck – der selbst erst für diesen Posten ernannt worden war (früher militärischer Leiter von Barmbeck, war er aber einige Monate vorher von diesem Posten abgesetzt worden) und sich im Zusammenhang damit in einer für ihn schwierigen Situation (Unkenntnis der Leute, außerdem fehlte es überhaupt an Informationen über den Zustand der Kampforganisation der Partei, über den Zustand des Gegners usw.) befand –, eine ganze Reihe von Vorbereitungsmaßnahmen zur Organisierung des Losschlagens in den ihm unterstellten Stadtteilen.“

Die nur etwa 200 bis 300 Aufständischen, die Kippenberger organisierte, verfügten lediglich über 19 Gewehre und 27 Revolver. In diesem Gebiet gab es 20 Polizeiwachen, in den Wandsbeker Kasernen standen 600 Mann der Schutzpolizei bereit, außerdem sechs mit schweren Maschinengewehren ausgerüstete Panzerautos. Trotzdem gelang es den Stoßtrupps, 17 Polizeiwachen zu überrumpeln.

Im Stadtteil wurden Barrikaden errichtet, aus der Bevölkerung erhielten die Kämpfer Lebensmittel und Zigaretten. „Das ist der schönste Tag meines Lebens. Mein Sohn sitzt auf dem Dach und schießt auf die Sipo (Sicherheitspolizei, d. Red.). Jetzt wird alles besser werden“, zitiert Lothar Danner in seinem Buch „Ordnungspoli-Zeit Hamburg“ – das 1958 erschien – eine Arbeiterfrau. Danner war in der Weimarer Republik Chef der Ordnungspolizei und später Polizeisenator in Hamburg. „Das war wirklich eine revolutionäre Situation“, gab er zu: „War es zu verwundern, daß die immer größer werdende Zahl der Erwerbslosen, deren Unterstützung nicht ausreichte, den Hunger zu stillen, eine Besserung ihrer Lage nur noch durch den gewaltsamen Sturz des kapitalistischen Systems erhoffte?“

Am zweiten Aufstandstag traf aus Kiel der Kreuzer „Hamburg“ ein, begleitet von zwei Torpedobooten. Aus Lübeck rückten 500 Mann der Schutzpolizei in Hamburg ein. Kippenberger mußte am 25. Oktober den Rückzug einleiten, denn der Aufstand blieb isoliert. Als die Polizei den Stadtteil stürmte, fand sie nur noch vereinzelte Aufständische vor, die von Dächern feuerten.

Nach der Niederlage emigrierte Kippenberger nach Moskau. Für die Hamburger Bürgerschaftswahl am 26. Oktober 1924 stellte die KPD ihn als Kandidaten auf. Er wurde gewählt, aber die Mehrheit des Parlaments hob seine Immunität wieder auf. Kippenberger floh erneut in die Sowjetunion und war dort in der Militärabteilung der Parteizentrale tätig. 1927 kehrte er nach Deutschland zurück. Er lebte zunächst illegal; für die Reichstagswahl im Mai 1928 stellte ihn die KPD auf. Er wurde bis 1933 immer wieder gewählt. Bis 1928 amtierte er als Leiter des KPD-Nachrichtendienstes, von 1928 bis 1935 leitete er die Abteilung Militärpolitik beim ZK der KPD.

1933 flohen Kippenberger und seine Frau Thea vor den Nazis zunächst nach Prag, ab 1935 lebten beide wieder in Moskau. Dort geriet Kippenberger in Konflikt mit der KPD-Spitze um Walter Ulbricht. Am 1. Dezember 1936 wurde Kippenberger aus der KPD ausgeschlossen. Am 3. Oktober 1937 verurteilte ihn das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR wegen angeblicher „Spionage“ und geplanten „Terroranschlägen“ zum Tode. Ein Erschießungskommando brachte ihn noch am selben Tage um.

Im Februar 1938 wurde auch Thea Kippenberger verhaftet und in ein Straflager gebracht, das sie nicht überlebte. Die damals minderjährige Tochter der Ermordeten überlebte in einem Waisenhaus.

Bernhard Röhl

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