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Nach dem Benzin lodert der Streit

■ Opfer der Pipeline-Katastrophe in Nigeria wehren sich gegen den Vorwurf, sie seien selber am Unglück schuld. Sie verweigern lieber die ärztliche Behandlung, als sich verhaften zu lassen. Schwere ethnische

Berlin (taz) – Eine Woche nach der Pipeline-Katastrophe in Nigeria verschärft die andauernde Kontroverse um die Ursachen den Konflikt zwischen Staat und Bevölkerung des nigerianischen Ölfördergebiets. 80 schwer verbrannte Opfer der Explosion wurden von ihren Angehörigen wieder aus den Krankenhäusern geholt, damit sie nicht verhaftet werden. Achtzehn Patienten kehrten zwar wieder zurück, nachdem der Militärgouverneur der Region, Walter Feghabo, Gerüchte über Verhaftungen dementierte. Aber die Unsicherheit ist groß. Dalhatu Bayero, Manager der staatlichen Ölgesellschaft NNPC, hatte am Dienstag angekündigt, man werde die Schuldigen der Katastrophe vor Gericht stellen, und schuldig seien die Dorfbewohner von Jesse, weil sie die Pipeline sabotiert hätten.

Bayero kündigte zwar eine öffentliche Untersuchung des Vorfalls an, aber das NNPC-Tochterunternehmen PPMC, der die Pipelines in Nigeria gehören, weiß angeblich schon ganz genau, was passierte. PPMC-Angaben zufolge wurde das Leck in der Pipeline durch das Öffnen eines Absperrhahns verursacht. „Die Vandalen haben die Plombe des Hahns entfernt, so daß das Produkt herausströmte“, sagte der PPMC-Verantwortliche Godwin Ede. Ein Druckabfall in der Pipeline sei bereits am Mittwoch letzter Woche bemerkt worden, drei Tage bevor der Benzinsee um die lecke Pipeline herum explodierte.

Augenzeugen aus Jesse, deren Berichte der taz vorliegen, weisen jede Verantwortung der lokalen Bevölkerung zurück. Am Freitag erst, einen Tag vor der Explosion, hätten die Dorfleute gemerkt, daß der Boden voller Benzin war, und seien nach und nach zusammengeströmt, um sich das genauer anzugucken. „Viele Leute wußten nicht, daß das Benzin war“, sagt der Bauer Columbus Daju. „Viele derjenigen, die starben, waren hingegangen, um dieses komische Zeug anzugucken, das da aus dem Boden kam.“ Daß viele von ihnen bei ihrem Tod Eimer und Behälter dabeihatten, habe daran gelegen, daß sie auf dem Weg vom Wasserholen im nahen Ethiope-Fluß zurück nach Hause waren. „Die Regierung hat Macht über uns alle“, fährt Daju fort. „Wenn die Pipeline gesichert wäre, könnten die Leute nicht an sie herankommen, auch wenn sie leckt.“

Selbst die Umweltbehörde des betroffenen Bundesstaates Delta, „Delsep“, kritisierte inzwischen die PPMC: „Uns geht es darum, daß die PPMC das Feuer sofort löscht, die Gegend aufräumt, die Regierung richtig informiert und die Bevölkerung über die Gefahren in ihrer Gemeinschaft aufklärt“, sagte Delsep-Leiter Edwin Ogbogbo. Das Feuer vom explodierten Benzinsee ist nämlich immer noch nicht vollständig gelöscht, die Zahl der Todesopfer wird mittlerweile auf über 1.000 geschätzt. Im Bundesstaat Edo wurde gestern ein neues Pipeline- Leck gemeldet, das vom örtlichen Militär ebenfalls auf Sabotage zurückgeführt wurde.

In der Region um den Ölhafen Warri unweit von Jesse sind inzwischen erneut schwere Unruhen ausgebrochen. Warri ist Hochburg des Ijaw-Volkes, dessen Jugendmilizen an der Spitze der jüngsten Besetzungen von Ölförderanlagen im Niger-Flußdelta stehen. Ijaw-Milizen haben nun mit neuen großangelegten Vertreibungen anderer Volksgruppen begonnen, möglicherweise in Zusammenarbeit mit dem Militär.

So ging das Stadtviertel Orugbo mit 3.000 Einwohnern aus der Itsekiri-Volksgruppe am Donnerstag komplett in Flammen auf. Eine Zeitung berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, Jugendliche in Militäruniformen hätten die Bewacher des Viertels im Morgengrauen niedergekämpft und dann systematisch die Häuser angezündet. Am Nachmittag erst rückten richtige Soldaten ein. Der Hafen und Ölterminal von Warri wurde den Berichten zufolge von bewaffneten Jugendlichen abgesperrt, die auch öffentliche Busse auf den Straßen anhielten und von den Passagieren den Nachweis ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verlangten, bevor sie weiterfahren durften. Dominic Johnson

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