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Behörde pflegt sich auszutricksen

Hamburgs Versuch gescheitert, Millionenbeträge durch Umgehung der Pflegeversicherung zu sparen. Gesundheitsbehörde sucht dennoch weiter nach einer Billig-Lösung  ■ Von Heike Haarhoff

Der Plan des rot-grünen Hamburger Senats, das Pflegeversicherungsgesetz auszutricksen, ist gescheitert. Die Gesundheitsbehörde bestätigte der taz hamburg, daß man die „Idee, wirtschaftlich unabhängige Pflegeabteilungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe“ zu gründen, aufgegeben habe.

Was unspannend und bürokratisch klingt, trifft die Hansestadt empfindlich: Die Stadt muß nun weiterhin den Löwenanteil der Kosten für die Pflege all der behinderten Menschen übernehmen, die statt in Pflegeheimen in Behinderten-Wohngemeinschaften leben. Rund ein Drittel der 2500 Menschen, die in Hamburg in Einrichtungen der Behindertenhilfe wohnen, sind sehr pflegebedürftig. Die Behörde schätzt die Kosten, die der Stadt für ihre Pflege entstehen, auf jährlich zwölf bis fünfzehn Millionen Mark.

Ein stattlicher Betrag, den die Stadt gern auf die Pflegeversicherung abgewälzt hätte. Doch die übernimmt die Pflegekosten in vollem Umfang nur dann, wenn die zu Pflegende in einer Einrichtung lebt, in der ausdrücklich „die Pflege im Vordergrund steht“. Durchschnittlich 2800 Mark pro Monat fließen dann aus der Pflegekasse. So will es das Pflegeversicherungsgesetz.

Behinderte Menschen, die ebenfalls Pflege brauchen, aber nicht in Pflegeheimen leben, sondern in pädagogisch sinnvolleren Behindertenwohngruppen, die aufgrund ihres Angebots ein selbstbestimmtes Leben eher ermöglichen, erhalten weitaus weniger Geld aus der Pflegeversicherung. Höchstens 500 Mark pro Monat übernimmt die Pflegekasse, unabhängig davon, wie groß die Pflegebedürftigkeit ist. Begründung: Es handele sich schließlich nicht primär um Pflegeanstalten. Den Rest der Pflegekosten schießt in den meisten Fällen zwangsläufig die Sozialhilfe zu, also die Stadt Hamburg.

Weil diese Ungerechtigkeit nicht einzusehen sei, suchte der Senat monatelang nach einer Lösung, wie er das strenge Pflegeversicherungsgesetz aushebeln könne. Das Schlupfloch schien im vergangenen Herbst gefunden: In den Behinderteneinrichtungen sollten „wirtschaftlich unabhängige Pflegeabteilungen“ entstehen, die buchhalterisch von dem übrigen Betrieb abgetrennt werden sollten. Ändern, so versicherte die Gesundheitsbehörde, sollte sich an Angebot und Strukturen in den Behindertenwohngruppen gar nichts. Doch auf dem Papier und durch die Schaffung virtueller Betriebe hätte man die Kriterien des Pflegeversicherungsgesetzes erfüllt und wäre die Geldsorgen los gewesen. Doch die Pflegekassen durchschauten den Trick und verweigerten die Anerkennung.

Vorerst also ist das Projekt der Kostenabwälzung gescheitert. Aber, beeilt sich Pressesprecher Stefan Marks zu versichern, „es wird weiterhin nach einer Lösung gesucht“. Wie die aussehen könnte, haben sich Hamburger Behindertenverbände bereits in einem Horrorszenario ausgemalt: Die Wohnstätten, in denen Behinderte derzeit von Sozialpädagogen betreut werden, und die ihnen den Rechtsanspruch auf „Eingliederung“ und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben garantieren, würden zu Pflegeheimen umdeklariert und von Pflegekräften geleitet. Die Konsequenz: Die Betreuten hätten dann zwar Anspruch darauf, gewaschen, gebettet und gefüttert zu werden, aber nicht mehr auf soziale Unterstützung und Förderung.

Die gesellschaftliche Eingliederung der Behinderten sei damit vom Tisch, warnt Martin Eckert, Geschäftsführer des Elternvereins „Leben mit Behinderung Hamburg“. Denn in reinen Pflegeheimen haben die Bewohner keinen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe, sondern nur auf Pflege. Das Recht auf Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, der Anspruch, Freunde trotz Behinderung regelmäßig zu besuchen oder zum Arzt begleitet zu werden, entfiele. „Diese Basis ist uns zu unsicher“, klagt Eckert, „das machen wir nicht mit.“

Anderslautenden Beteuerungen der SPD-geführten Gesundheitsbehörde und der behindertenpolitischen Sprecherin der GAL, Dorothee Freudenberg, nach denen „niemals an der Eingliederungshilfe gerüttelt“ werde, mißtraut Eckert. Für Ende des Monats haben er und mindestens ein Dutzend weiterer Vertreter sozialer Einrichtungen Rathausfraktion und Landesvorstand der Hamburger Grünen zum klärenden Gespräch eingeladen. Denn, so befürchtet Eckert: „Denen geht es nur darum, Geld zu sparen.“

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