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„Das ist schon ein gutes Gefühl“

Im Reno-Werkhof in Steilshoop erhalten Jugendliche, die als schwer vermittelbar gelten, durch ein Beschäftigungsprojekt eine Ausbildung als Tischler oder Maler  ■ Von Karin Flothmann

Besonders wohl fühlt sich Siggi nicht im Jacket. Er ist eben kein Anzugtyp. Nur selten zwängt er seine breiten Schultern mal in eine Jacke aus Tweed. Gestern mußte es sein. Da erhielt Siggi im Rahmen der sogenannten Freisprechungszeremonie seinen Gesellenbrief als Maler. „Das ist schon ein gutes Gefühl“, sagt er und grinst über beide Ohren. „Immerhin kann ich jetzt sagen, ich bin Maler.“ Siggi ist 28 Jahre alt. Irgendwann in grauer Vorzeit hat er die Hauptschule abgeschlossen. „Und dann hab ich ein bißchen rumgegammelt.“ Siggi lebte von der Sozialhilfe, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, war mal Packer, mal LKW-Fahrer. Wenn das Geld nicht reichte, brach er auch mal ein Auto auf.

Siggi ist einer von zehn jungen Männern, die in diesem Jahr ihre Maler- oder Tischlerlehre beim „Reno-Werkhof“ in Steilshoop beendeten. Acht von ihnen waren erfolgreich, zwei Tischler-Lehrlinge fielen in der Theorie knapp durch. „In einem halben Jahr kriegen wir die hin“, glaubt Reno-Lehrer Klaus Niebuhr, „dann schaffen die beiden es.“ Seit zwei Jahren bieten die Renos, ein Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt des Vereins für Soziale Arbeit und Forschung, in Steilshoop Jungerwachsenen die Möglichkeit der Berufsausbildung. Siggi gehört zur ersten Generation. „Eigentlich wollt' ich früher gar nichts werden“, resümiert er. Heute sagt er: „Ich fühl mich einfach besser, wenn ich arbeite.“

Matthias B. geht es genauso. Wie Siggi ist er seit gestern gelernter Maler. Mit Siggi hat er zusammen gelernt, hat Kitas, Wohnungen oder den Jiu Jitsu-Verein der Polizei renoviert. Seit einem Jahr teilen sich die beiden sogar eine Wohnung. Im Gegensatz zu Siggi versuchte sich Matthias nach der Hauptschule als Lehrling: mal als Raumausstatter, mal als Klempner, mal als Maler. Nach einem halben Jahr war immer Schluß. Matthias hatte kein Sitzfleisch. Erfahrungen mit Polizei und Jugendgerichtshilfe hat auch er, wie rund ein Drittel aller Jungmänner, die bei den Renos eine ABM-Stelle haben oder die Lehre als Tischler oder Maler beginnen. Diebstähle, Brüche oder permanentes Schwarzfahren zählen zu den gängigen Delikten, manchmal auch eine Körperverletzung.

Matthias hat Schulden in Höhe von 10.000 Mark. Mal war es eine Mahnung, die ungeöffnet im Papierkorb landete, mal ein Bußgeld. „Das läpperte sich“, meint er. Abbauen konnte er den Schuldenberg in der letzten Zeit nicht. Als Lehrling verdiente er im ersten Jahr 690 Mark netto, im zweiten dann 870 Mark. Hinzu kam das Kindergeld. „Das mit dem Geld ist ein Krampf“, sagt er. Und hofft, möglichst bald eine Stelle zu finden.

Bernd W. und Peter G. wird etwas mulmig, wenn sie an die nächsten beiden Jahre denken. Beide werden ab dem 1. August bei den Renos Lehrlinge sein. Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe haben sie dann nicht, das läßt das Bundessozialgesetz nicht zu. Bisher arbeiteten beide im Reno-Werkhof, der eine als ABM-Kraft, der andere auf einer von der Sozialbehörde teilfinanzierten Stelle. 2800 Mark verdienten sie da brutto, bar macht das rund 1700 Mark aus.

Peter, der als ABM-Mann bei den Tischlern aushalf, konnte das Geld gut gebrauchen. Mit seiner jungen Frau lebt der 21jährige in einer Wohnung, die allein 1100 Mark Miete verschlingt. Neben dem Tischlern lernte er im Unterricht der Renos bei Klaus Niebuhr all den Stoff, den Lehrlinge sonst im ersten Jahr der Berufsschule durchnehmen. Ein Grund für Innung und Handwerkskammer, die verkürzte Lehre von zwei Jahren zu akzeptieren. Warum er die Lehre machen will? Nun: „Tischler war immer mein Traum“, nuschelt Peter. Und verdrückt sich dann lieber wieder an die Werkbank.

Auch für Bernd ist klar, daß er die mageren Zeiten in Kauf nimmt. Schwer wird's, das ist sicher. „Aber ich werd dies Jahr 29. Irgendwann muß ich ja mal was schaffen.“ Früher hat Bernd Platten aufgelegt, zwei Jahre lang war er Bademeister. Dann stürzte er ab: „Ich hab Drogen genommen und vertickt, wurde geschnappt. Ging zehn Monate in den Knast.“ Mit Hilfe von Entzug und Therapie ist er heute wieder clean. Und will sein Leben in den Griff bekommen.

„Als Gesellen haben die später ungleich bessere Chancen als so ein ungelernter Steilshooper Jung“, sagt Reno-Lehrer Niebuhr. Daß seine Jungs als ABM-Kräfte zunächst 2800 Mark verdienen, hält er für notwendig. Das motiviert sie, überhaupt anzufangen und hält sie erstmal bei der Stange. Außerdem können die Gewiefteren gleich Geld für die Zeit der Lehre zurücklegen. Niebuhr ist sich sicher: „Unsere Jugendlichen werden schlechter geredet, als sie sind.“

Das sieht auch die Jugendgerichtshilfe beim Bezirksamt Wandsbek so. In einem Brief bescheinigt der zuständige Jugendrichter den Renos: „Es ist dem ganzheitlichen Arbeitsansatz zu verdanken, daß der überwiegende Teil der Jugendlichen nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei den Renos sozial stabilisiert ist und nicht mehr durch delinquentes Verhalten auffällt.“

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