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Ein Kind darf nicht einfach verschwinden

In Hamburg gibt es jetzt einen Gedenkplatz für nicht beerdigte Kinder  ■ Von Ulrike Winkelmann

„Das passiert jeder zweiten Frau.“ Dieser Satz fällt immer. Jede Frau, die eine Fehlgeburt hatte, bekommt ihn zu hören. Und: „Du kriegst doch noch ein Kind, du bist schließlich noch jung.“

„Dabei trösten diese Sätze niemand. Sie sind das Schlimmste, was man überhaupt sagen kann“, sagt Susanne Schniering. Die 41-Jährige hat lange darüber nachgedacht, was sie selbst getröstet hätte. „Ich glaube, alles hilft, was das Unglück begreifbar macht.“ Also hinsehen und nicht wegreden, trauern und nicht mit Zahlen übertünchen. „Und vor allem ist eine Beerdigung ganz wichtig.“

Die Möglichkeit, ihre eigene Tochter Sunna Maria zu beerdigen, die 1997 im siebten Monat tot zur Welt kam, hat Susanne Schniering nicht wahrgenommen. Eine einzige Nacht hatten sie und der Vater des Kindes Zeit zu überlegen, was mit dem kleinen Leichnam geschehen sollte. „Im Schock entschieden wir uns gegen eine Bestattung. Wir dachten, trauern kann man überall, dazu braucht man kein Grab.“

Diese Entscheidung tat ihr bald leid. „Ein Kind, das in der Klinik einfach so verschwindet, ist wie ein Spuk. Auch die Gefühle, die eine Frau während der Schwangerschaft hat, werden dadurch unwirklich.“ Der Eindruck, dass man über Fehl- und Totgeburten nur hinter vorgehaltener Hand reden dürfe, und die Vorstellung, dass nicht beerdigte Kinder wie Klinikmüll entsorgt würden, ließen die studierte Pädagogin nicht in Ruhe. Ihr Wunsch: „Eltern sollen erfahren, wie sinnvoll Rituale sein können, um das Ereignis zu bewältigen.“ Dazu gehört nicht nur das Begräbnis, sondern auch die Möglichkeit, ein „Stillgeborenes“ von einem Seelsorger verabschieden, „aussegnen“ zu lassen.

Auf eine Pflicht des Klinikpersonals, Eltern über solche Angebote rechtzeitig zu informieren, arbeitet auch die Initiative Regenbogen/„Glücklose Schwangerschaft“ e.V. hin. Vor allem ihrer Lobbyarbeit ist es zu verdanken, dass die Gesetze zum Umgang mit Früh- und Totgeborenen in den vergangenen Jahren schrittweise geändert wurden. So ist auch die Definitionsgrenze zwischen Fehlgeburt und Totgeburt von 1000 auf 500 Gramm herabgesenkt worden. Totgeborene Kinder ab 500 Gramm können seither mit Namen ins Familienstammbuch eingetragen werden, und ihnen steht eine Bestattung zu.

In Hamburg können Eltern von „stillgeborenen“ Kindern zwischen 500 und 1000 Gramm wählen, ob sie eine Bestattung wünschen oder nicht. „Wenn sie sich dagegen entscheiden, sorgen die Kliniken für ein würdiges Begräbnis auf der Kinderbegräbnisstätte des Öjendorfer Friedhofs“, erklärt die Sprecherin der Hamburger Friedhöfe, Sabine Blum. Über 1000 Gramm sind Bestattungen Pflicht.

Am Sonnabend wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof ein Gedenkplatz für nicht beerdigte Kinder eingeweiht. „Um einen Ort zu schaffen, wo Eltern wie ich ihre Traurigkeit hintragen können“, sagt Susanne Schniering. Sie hat die kleine Marmor-Skulptur, die jetzt dort steht, selbst ausgesucht.

Spendenkonto: Von Mensch zu Mensch, Stichwort „Skulptur“, Haspa Kto.1280/202001.

Initiative Regenbogen, Adressenvermittlung: Tel. 04469-376.

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