piwik no script img

Schriller die Filzer nie kratzen

■ Der Katalane Josep-Maria Balanyà mischte mit seiner Performance im Schlachthof keck die Konventionen des Konzertabends auf

Immer mal wieder gibt es Musiker, die mit ihren Stücken nicht nur die Traditionen der Töne, sondern auch gleich die Institution des Konzerts in Frage stellen. John Cage war solch ein Bilder-, nein: Tonstürmer, und der Katalane Josep-Maria Balanyà begann sein Konzert (?!) im Schlachthof so ähnlich wie dieser große Meister der Hypermusik. Lange Zeit tat er nämlich gar nichts! Ausgestreckt lag er bewegungslos auf einer mit Tüchern drapierten Bank, vor ihm ein hochkant gewuchteter Flügel, in dessen Innereien man sehen konnte, dazu spielte ein Tonband eine Collage aus Stimmen und elektronischem Geziepe. Cage wäre wohl das ganze Konzert lang liegen geblieben, aber so radikal wollte Balanyà sein Publikum dann doch nicht vor die Köpfe stoßen.

So richtete er sich nach etwa zehn Minuten Stilleben auf, griff sich ein paar Paukenschlegel und hämmerte auf die Saiten des vor ihm aufragenden Flügels ein. Da dröhnten die Basssaiten in einem monotonen Rhythmus, später klirrten einige höhere Saiten dazu in einem primitiven Kontrapunkt. Balanyà balancierte oft auf dem Grad zwischen Ton und Geräusch, manchmal ging er damit bis an die Schmerzgrenze; etwa wenn er (durch Mikro und Verstärker sehr laut) mit einem Filzstift auf Papier herumkritzelte. Das erinnerte an die Foltermethode in einen Monty-Python-Sketch, bei der mit Kreide auf einer Schultafel gekratzt wurde. Einige FeinhörerInnen hielten sich die Ohren zu, und das war wohl auch der intendierte Effekt. Schließlich arbeitete Balanyà lange an einem Projekt namens „Ökologischer Jazz“, bei dem es um die „permanente Umweltverschmutzung durch Lärm“ ging.

Dass der Pianist vom Jazz kommt, merkte man spätestens, als er sich dann doch, etwa zur Halbzeit des Konzerts, an den (enttäuschend normal aussehenden) Flügel setzte. Im Stil eines Freejazzers hämmerte er viele Cluster in die Tasten, griff in die Saiten, präparierte sie, indem er etwas auf sie legte, und schuf so Klangfelder, die in den besten Momenten die Schönheit des gänzlich Unerwarteten hatten. Vielleicht kann man seinen Stil am besten mit „musique trouvé“ umschreiben, denn Balanyà arbeitete ständig mit den Klängen der (im traditionellen Verständnis unmusikalischen) Alltagswelt. So tippte er minuntenlang auf einer alten Remington-Schreibmaschine, heftete laut die vorher mit dem grausamen Filzer malträtierten Zettel in einen Aktenordner und spielte wiederholt Tonbänder mit spanischen und orientalischen Stimmen ab, die offensichtlich in Alltagsplaudereien vertieft waren. Und hier konnte man die Entdeckung machen, dass Gespräche, gerade wenn man kein Wort versteht, erstaunlich musikalisch klingen können. Balanyà selber lieferte noch einen prächtigen Urschrei und bewies im Laufe des Konzerts ein beachtliches dramaturgisches Geschick, indem er clever mit den Erwartungen des Publikums spielte. Und auch musikalisch war das letztlich alles genau durchkalkuliert. Nur bei Balanyà erklang am Ende halt meist ein Schlussdiskord. Wilfried Hippen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen