■ Schnittplatz
: Elend konkret

Geistige Inkontinenz ist die Krankheit, die zum Leserbrief führt. Besonders schwere Fälle schreiben sogar Leserbriefe im eigenen Blatt – wie Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, der in der Oktoberausgabe seiner Zeitschrift gemeinsam mit dem Konkret-Schreiber Georg Fülberth auch die Leserbriefseiten seines Blattes auffüllt. Konkret, die WG zum letzten Mann, wärmt sich am eigenen Mief und exegiert sich selbst, gründlichst.

Beigeheftet sind dem Zentralorgan für verzweifeltes Eigenlob 52 Seiten Literatur Konkret – die mit 19 Fotografien Adolf Hitlers illustriert sind. Warum? Das Editorial gibt eine Erklärung ab: „Literatur Konkret ist, aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des Erscheinens der ersten Fackel von Karl Kraus, der Medien- und Sprachkritik gewidmet, untersucht die Folgen der Hinrichtung der Sprache für politische Zwecke und bildet diese in Person des erfolgreichsten Rhetors der Deutschen (bei der Posen-Probe) auch noch ab.“ Denn ohne seine Vorlage kommt er nicht aus, der deutsche Zwangscharakter.

Ein schönes Beispiel für die Sprachkritik, die Konkret sich zugute hält, ist Gremlizas Leitkolumne: Drei Viertel seines Oktober-Hirtenbriefs sind Zitate aus Marcel Reich-Ranickis Autobiografie „Mein Leben“ – die auf der gegenüberliegenden Heftseite als Dreingabe für ein verschenktes Konkret-Jahresabo feilgehalten wird, versehen mit dem Rechthaberzusatz: „Warum das Buch dennoch gelesen haben muss, wer wissen will, in welchem Land und unter welchen Leuten er lebt, steht in Gremlizas Kolumne (Seite 9).“ Auf die, obwohl direkt nebenstehend, ganz dringend hingewiesen werden muss in der berechtigten Angst des Herausgebers, dass außer ihm und seinen mit ihm Briefe sich schreibenden Autoren kaum noch jemanden interessiert, was er veröffentlicht.

Gremliza, einst ein verlässlicher Feind der Schmocks, sitzt im Eigensaft, garniert mit Hitlerbildchen und einem Brief an die eigene Zeitung. Als nächstes wird der Mann bei sich selbst anrufen und einen empörten Artikel darüber schreiben, dass dauernd belegt ist. Wiglaf Droste