: Mit und ohne Anführungszeichen
■ Performances aller Art beim Festival „Auf eine Art“ in der Kule
Ein Begriff muss drastisch Unterschiedliches zusammenhalten: Fortpflanzung. Die beiden Kuratoren – Stefanie Weisman und Stefan Vens – haben mit der Vorgabe zu dem seit letzten Freitag laufenden Performancefestival „Auf eine Art“ eingeladen, ohne eine genauere Frage zu formulieren. In verschiedenen Genres – Bühnenstücke, Performances ohne Bühne, Filme, bildende Künste, Gespräche, Symposion und Tanzkurs – sind Gäste aus Berlin, Chicago und Zürich zu sehen.
Die unterschiedlichen Ideen sollten sich auf ihrem Weg durch das Thema wechselseitig weiter befruchten. Industrielle Serienförmigkeit, die Erfahrungen eines Paares, das ein Kind hat, traurige Liebeslieder, Tun-als-ob, Selbstfremdheit, der Versuch, in sich etwas zu erzeugen und in anderen etwas zu erzeugen, der manchmal ja auch gelingt.
In einem der Berliner Stücke, einem langen Theater mit zwei Tonspuren übereinander, erzählt eine Stimme etwas über Mikrobiologie. Eine US-Amerikanerin salbadert 45 Minuten lang mit eindringlicher Stimme Hohlformeln amerikanischer Ideologie. Fünf Bühnenpersonen, die immer wieder dieselben Handlungen ausführen, im Kreis, quälend, alle weiß gekleidet. Worum es geht, erlebt man nur beim Zuschauen, wird nur im Moment spürbar oder auch nicht, jedenfalls gibt niemand Anleitungen zum Verständnis.
Das steht im Gegensatz zur amerikanischen Performancetradition, die oft das Gegenteil verfolgt: Jemand steht auf der Bühne und erzählt von sich oder drückt seine wirklichen, echten Empfindungen aus, ohne eine Rolle spielen zu wollen, ohne die Anführungszeichen, die aus europäischer Sicht kaum wegzudenken sind. Ein Paar aus Chicago zeigt Filme vom gemeinsamen Kind und spielt Alltagsszenen nach, aber die Ich-Erzählungen kommen vom Band; ein Männerchor trägt vor, wie die Mutter die Geburt schildert.
Das Festival lebt von den kulturellen Überschneidungen, von den Entdeckungen, dass die Chicagoer Performer den „Berliner Stil“ der frühen Neunzigerjahre (Medien, rauhe Plastik, Dada) abgefahren finden, die Berliner aber längst beim Schlager angekommen sind. Da die Gäste meistens auch im Kunsthaus Kule wohnen und abends an der Festival-Bienenbar zu finden sind, ergibt sich das charmante, internationale Kleinkunstgemisch, das die Kule in diesen Tagen zu einem relaxed swingenden Mikrokosmos inmitten rheinischen Straßen- und Kneipenlärms werden lässt.
Felix Herbst
Täglich, noch bis zum 10. Oktober; KuLe, Auguststraße 10, 10117 Berlin-Mitte, S Oranienburger Str., Vorbestellungen und Information, Tel. (0 30) 28 38 97 10. Mittwoch, 6. 10, Vorträge von Barbara Loreck, Bärbel Butterweck-Uhl, Johannes Deimling. Donnerstag, 7. 10, Grand Prix d'Amour – Liebesliedwettbewerb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen