Bloß keine „Almosenscheiße“

Mit dem Tod Helmuth Schmidtkes, dem Gründer des Arbeitskreises Wohnraumversorgung, hat Hamburg einen großen Kämpfer für die Armen verloren  ■ Von Gernot Knödler

Es gibt etwas, das Helmuth Schmidtke Zeit seines Lebens bekämpft hat und das Pestalozzi folgendermaßen ausdrückte: „Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade.“ Schmidtke zitierte den deftigen Ausspruch des großen Schweizer Pädagogen gerne, im Alltag fasste er sich jedoch kürzer: Die „Almosen-Scheiße“ war ihm ein stetes Ärgernis, stand sie doch in diametralem Gegensatz zu seiner Überzeugung, das bedürftige Menschen ein Recht darauf haben, dass ihnen geholfen wird.

Zum Jahreswechsel hat Hamburg diesen bedeutenden Kämpfer für das Recht auf eine Wohnung und ein menschenwürdiges Leben verloren. Helmuth Schmidtke, Gründungsmitglied der Ambulanten Hilfe und der Sozialpolitischen Opposition (Sopo) ist 56jährig an Speiseröhrenkrebs gestorben.

Die anfängliche Hoffnung, der Krebs wäre noch aufzuhalten, zerschlug sich rasch. Mehr als zwei Monate lang musste der Vater dreier erwachsener Kinder künstlich ernährt werden. Im Dezember gab er noch sein Einverständnis, dass das Projekt, dessen Seele er war, der Arbeitskreis Wohnraumversorgung (AKWo) aufgelöst werde.

Was ihn motivierte, sei ein „ganz starkes Gefühl von Ungerechtigkeit“ gewesen, meint Pia Peddinghaus, die mit ihm zusammen die Sopo gegründet hat. Als eines von zehn Kindern eines Segelmachers, das in den 50er Jahren auf St. Pauli zur Schule ging, hat er gewusst, was Armut bedeutet. Der Junge vom Kiez fuhr drei Jahre lang als Schiffszimmerer zur See und ließ sich dann am Rauhen Haus zum Sozialpädagogen ausbilden.

1972 wird Schmidtke Leiter eines Männerwohnheims in Hessen, zwei Jahre später des Bodelschwingh-Hauses in Barmbek. Doch die reine Sozialpädagogik, das Ausbügeln von Fehlern, die im politischen Raum entstanden sind, frustriert ihn zunehmend. Mitte der 80er Jahre gründet er mit anderen die „Ambulante Hilfe Hamburg“, ein Versuch, Wohnungslosen mehr Möglichkeiten zu geben, ein eigenverantwortliches Leben zu führen.

Anders als in den Heimen konnten sich Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit Bedrohte bei der Ambulanten Hilfe unverbindlich beraten lassen. Dort werde nicht nur die Wohnungslosigkeit ihrer KlientInnen thematisiert, sagt Pia Peddinghaus, „sondern ihre gesamte soziale Situation“.

Die politische Arbeit hat Schmidtke danach nie mehr losgelassen. Das ging so weit, dass er 1989 seine sichere Heimleiter-Stelle aufgab, um das „Projekt Wohnraumversorgung“ anzuschieben. Das Zahlenwerk, das er dabei zusammenstellte, hat in unzähligen Debatten als Argumentationshilfe gedient.

Nach drei Jahren lief die Finanzierung des Projekts und seine damit verbundene Stelle aus. Der Arbeitskreis Wohnraumversorgung blieb. Schmidtke hielt sich mit Jobs aus dem Zweiten Arbeitsmarkt über Wasser und die Debatte über ein menschenwürdiges Leben in der Stadt in Gang.

„Als Frühaufsteher hatte er immer schon die Presse-Erklärung geschrieben, wenn die meisten Leute den Artikel noch nicht einmal gelesen hatten“, erzählt Josef Bura, der mit Schmidtke die letzten Jahre bei der Schanze e.G. zusammen gearbeitet hat. Für die Organisation der Pressekonferenz zu Innensenator Hartmut Wrocklages (SPD) umstrittenen Bettlerpapier habe er gerade mal drei Tage gebraucht.

Wegen seines öffentlichen Engagements habe das langjährige SPD-Mitglied des öfteren Schwierigkeiten mit seinen regierenden Genossen gekriegt, erzählt Schmidtkes gute Freundin Andrea Josefi. „Er hat sich nie angepasst“, sagt Josefi. Wenn er merkte, dass sein Anliegen in einer bestehenden Institution nicht unterzubringen war, habe er lieber neue Strukturen geschaffen, wie etwa den AKWo.

Die SPD hat Schmidtke 1999 verlassen, ebenso die evangelische Kirche. Beides hängte er nicht an die große Glocke. Nach Rot-Grün in Hamburg und dem Rücktritt Lafontaines sei für ihn mit dem Schröder-Blair-Papier der Endpunkt erreicht gewesen, vermutet Peddinghaus. Der Kirchen-Austritt gehörte mit zu dem klaren Schnitt, nachdem sich Schmidtke schon länger mit Stefan Reimers, dem Leiter des Diakonischen Werkes, wegen dessen „Almosen-Scheiß“ gerieben hatte. Reimers hatte stark auf ehrenamtliche Hilfsprojekte gesetzt, während der Rechtsanspruch Wohnungsloser auf Unterstützung aus Schmidtkes Sicht ausgehöhlt wurde.

Doch Schmidtke war niemand, der den Konflikt um seiner selbst willen suchte. „Bündnisse zu schaffen und zu erhalten, das war überhaupt seine größte Leistung“, erinnert sich Bura. Ein „unglaublich zuverlässiger Mensch“ sei er gewesen, lobt Karin Aßmus von Mieter helfen Mietern, wo Schmidtke im Vorstand saß, dabei ungemein bescheiden und ein Workaholic, der sich selbst nach Lanzarote Fachliteratur mitnahm. „Das einzige, was ich negativ über ihn sagen könnte, ist: Er hat zuviel geraucht“, sagt Josef Bura. Zwei Schachteln Roth Händle am Tag. 35 Jahre lang.