: Rückzug aus der Kulturkritik
Ekel, Erbrechen und andere Spielarten eines hypersensiblen Künstlersubjektes: Die Galerie NEU zeigt Arbeiten von Kai Althoff, der mit seinen „Hau ab, du Scheusal“ betitelten Aquarellen einen Schutzschild für die Jugend entwirft
Er könnte ein Hexenmeister sein. Manchmal zumindest gerät die Exkursion durch das Werk von Kai Althoff zu einer Art metaphysischem „Blair Witch Projekt“. Dabei ist das Erkennen und Ausdeuten, mit dem man sich an seinen von Spiritualität und subversivem Glamour bestimmten Dekors abarbeitet, selbst zum Kult geworden.
„Hau ab, du Scheusal“ ist der Titel seiner Ausstellung, die jetzt bei der Berliner Galerie NEU zu sehen ist. Als Teil des komplexen retro-ästhetischen Szenariums, das der 1966 geborene Kölner Künstler schon mit früheren Performances, Installationen, Zeichnungen und Gemälden entworfen hat, erscheinen auch die kleinformatigen Aquarelle, die sich in Holz gerahmt über die Galeriewände ziehen, wie die Reminizenz an eine imaginäre westdeutsche Jugend und Kindheit der frühen Siebzigerjahre.
Das Dargestellte wirkt auf eigentümliche Weise idealisiert und entrückt. Steinhütten, Lampen aus Reispapier, durchs Geäst aufflatternde Vögel, Pflanzen, die von einer solarisierten Aura umgeben scheinen, ergänzen sich ornamental mit den Konstellationen einer Gruppe von Jugendlichen. In ihrer Gesamtheit erinnern die Bilder an Bewegungstudien, wobei die körperliche Bewegung ihre Entsprechung in einer inneren Bewegung findet. Die androgyn anmutenden Protagonisten wechseln mit der leuchtenden Farbigkeit der Motive ihre Dichte und Anordung, versinken in Naturbetrachtung, wenden sich im Bett liegend der Wand zu, zeichnen sich als Umriss ab; oder sie umschlingen einander, verlieren sich, lassen sich gemeinsam nieder.
„Hau ab, du Scheusal“, das spricht von Abscheu und Entäuschung. Tatsächlich sieht man auf der Einladung zur Ausstellung Althoff selbst in der Tür eines in den Himmel ragenden hölzernen Verschlages stehen, in seinen Händen hält er eine wie einen Schutzschild ausgebreitete Patchworkdecke. Der Refrain des Songtextes einer begleitenden CD, die Althoff als Mitglied der Band „Workshop“ eingespielt hat, lässt die Qualen der Melancholie anklingen: „Selbst an solchen Tagen muss ich mich mit euch rumplagen ...“
Nachdem bereits vor zwei Jahren Althoff die Besucher der Galerie mit seiner Installation „Reflex Lux“ einem makaberen Tatort aussetzte, wird auch hier die Reaktion auf eine kaum aushaltbare hypersensible Wahrnehmung thematisiert, die alle äußeren Einwirkungen unweigerlich in sich aufnehmen muss. „Reflex Lux“ arbeitete, wie sämtliche Installationen des Künstlers, mit Figurengruppen. Damals waren es zwei hippieartig maskierte Puppen, die inmitten von Althoffs politisch-medial kodierter Malerei – stellvertretend für das empfindsame künstlerische Subjekt – im Sterben lagen oder am Rückfluss der eigenen Kotze erstickt waren. Ekel und Erbrechen sind in diesem Zusammenhang Sinnbilder für den Prozess geistiger Anspannung und Reinigung, der im umwertenden künstlerischen Ritual seine Entsprechung findet.
Eine von ihm selbst als „esoterisch politisch“ bezeichnete Haltung durchzieht Althoffs gesamtes Werk. Arbeiten wie „Hakelflug“ von 1996 oder ein Jahr später „In Search of Eulenkippenstadt“ transformierten linke Kulturkritik und gesamtdeutsche Realität in ästhetisch stilisierte Mythologien um Hausbesetzungen, jugendliche Gewalt und geheimbündlerische Umsturzbewegungen. Mit „Hau ab, du Scheusal“ wird dagegen eine scheinbar vollständige Abkehr von solchen Zusammenhängen dokumentiert. Das Augenmerk ist ganz auf die allgemeine Natur persönlicher Beziehungen gerichtet, deren banaler Unvollkommenheit und Verletzbarkeit der Schutz einer romantisierten, epischen Jugendwelt entgegengesetzt wird. War es zuvor ein Rückzug in die Welt unkonventioneller gesellschaftlicher Aussenseiter, ist es jetzt ein Rückzug in die Malerei selbst, den Althoff antritt.
Dass diese Wendung nur eine weitere ästhetische Konstruktion ist, offenbart sich in einem beiläufigen Umstand. Mit der gleichen spielerischen Leichtigkeit, mit der Althoff in seinen Aquarellen die goethesche Farbenlehre, Steiner, Beuys oder Polke zitiert, hängt er einen transparenten Fächermond in das einzige Fenster des Galerieraumes. Zur Eröffnung wurde der Scherenschnitt von einem Fackelgebinde im Garten erleuchtet. Die Feuerstelle befindet sich da, wo sich der Künstler positioniert – außerhalb seiner eigenen Inzenierung.OLIVER KOERNER VON GUSTORF
Kai Althoff: „Hau ab, du Scheusal“, bis 27. 1., Di bis Sa, 11 – 18 Uhr, Galerie NEU, Philippstraße 13
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen