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Geriatrisches Geschunkel

Ein letzter Fall, ein letztes Lied, eine letzte Currywurst: Nach 15 Folgen gehen Manfred Krugund Charles Brauer endlich in Luxuspension („Tatort – Tod vor Scharhörn“, So, 20.15 Uhr, ARD)

von ARNO FRANK

Vorgestern wurde Martin Riemann erschossen. Nebenbei, in einer Tiefgarage im Vorabendprogramm, nach einem Schuss ins Herz und ohne letzte Worte schied Michael Lesch endgültig aus der Rolle des „Fahnders“. Einem „Tatort“-Kommissar wie Manfred Krug kann das nicht passieren. Seine Dienstwaffe hat er zuletzt vor drei Jahren benutzt, zärtlich küsst er ihren Schaft. Und zärtlich küsst er irgendwann auch seinen Kollegen Charles Brauer in den Nacken – ein altes Ehepaar tritt ab. Nicht leise, sondern mit einem guttural geröhrten Schlager.

Bis zum großen Finale aber ist noch ein Fall zu lösen, mehrere Fälle, ein wahrer „bunter Strauß“ an kriminellen Machenschaften: Mord, Korruption, Drogen, Menschenschmuggel. Nebensachen halt. Wer will, kann zwar Schauspielern wie Anne Bennent oder Anna Thalbach dabei zuschauen, wie sie ihre Rollen mit Leben zu füllen versuchen. Oder sich an jenem mürrischen Monolithen von Schiffskapitän ergötzen, der selbst Manfred Krug an komischem Sarkasmus mühelos unterläuft.

Alle aber agieren sie in einer anderen Welt als die schlafwandlerisch ermittelnden Kommissare, die längst ihre eigene Butterfahrt inszenieren. Mit Zoten, Kalauern und den berüchtigten Gesangseinlagen, die Krugs düstere Vergangenheit als Defa-Chansonnier wieder aufleben lassen. Produziert wird das geriatrische Geschunkel übrigens von Klaus Doldinger – der auch schon sonnigere Tage gesehen hat, wie seine „Tatort“-Titelmelodie immer wieder beweist. Überhaupt, diese Schlager. Momente, so leicht und sinnfrei, als wären sie der legendären österreichischen Kriminalsatire „Kottan ermittelt ...“ entsprungen.

Mit dem „Tod vor Scharhörn“ aber geht Krug noch einen Tanzschritt weiter und spielt überhaupt nicht mehr mit. Sprichwörtlich. Knabbert Erdnüsse während des Verhörs, weil er halt Erdnüsse knabbern will. Quittiert die Nachricht vom Tod eines Kollegen schnoddrig wie ein desinteressierter Zuschauer. Und verzehrt ein letztes Mal Currywurst an der Imbissbude – ein angeblich proletarisch besetzter Ort, der offenbar nur noch von Gestalten wie Heiner Lauterbach oder eben Manfred Krug angesteuert wird.

Die unbeirrt komplexe Handlung kreist derweil gemächlich um den patriarchalen Brachialhumor eines erratischen Hauptdarstellers, der sich um deren Fortgang weniger nicht scheren könnte. Immerhin wird die von Krug so bestürzend authentisch gespielte Selbstgerechtigkeit des Spießers nicht verloren gehen. Sein Nachfolger als NDR-„Tatort“-Kommissar, Robert Atzorn, überzeugte schon in „Unser Lehrer Doktor Specht“ als ähnlich unwirscher Misanthrop.

Am Ende, das sei getrost verraten, gipfelt die verschwitzte Mischung aus Sentimentalität und Satire im endgültig Grotesken, triumphiert der Altherrenwitz: Ein Gönner schenkt den beiden Pensionären eine Kreuzfahrt, die Callgirls „Ludmilla und Monika“ inklusive. Engagiert, den Passagieren Ständchen zu bringen, geben Krug und Brauer auf einer lachhaft animierten „Titanic“ schließlich eine letzte goldene Gala. Und niemand, niemand schießt auf den Pianisten.

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