Auch heute noch möglich

Theater in der S-Bahn: Eine Aktion gegen das Vergessen zum Holocaust-Gedenktag vom Theater der Erfahrungen und der Jugendgeschichtswerkstatt mit bedenklichem Ausgang

Die Fenster des Wagons sind beklebt mit Verbotsschildern. „Die Beschränkung der Einkaufszeit für Juden in allen offenen Verkaufsstellen auf die Zeit zwischen 16 und 17 Uhr“ steht da in schwarzen Lettern auf weißem Grund. Das war am 4. Juli 1940. Gestern, am 26. Januar 2001, inzenierten das „Theater der Erfahrungen“ und die Jugendgeschichtswerkstatt „Miphgasch“ Szenen aus der damaligen Zeit in einem Berliner S-Bahn-Wagen: Am Bahnhof Hohenschönhausen streiten sich eine Dame mit gelbem Kreis auf dem dunkelblauen Mantel und eine im Vierzigerjahrekostüm um einen Platz. Ein älterer Herr mischt sich ein, will helfen. „Wissen Sie denn nicht, dass Juden hier keinen Platz mehr nehmen dürfen?“, zetert die eindeutig zur arischen Rasse Gehörende lautstark.

Szenen wie diese sollen die Mitfahrenden mit den Ereignissen der Vergangenheit konfontieren. „Wichtig ist uns aber auch der Bezug zur Gegenwart“, so die 75-jährige Schauspielerin Uschi Zobel. Gemeinsam mit der Jugendgeschichtswerkstatt fuhren die 13 LaiendarstellerInnen einen Tag lang auf der Strecke Strausberg–Spandau. Die 23-jährige Diana Born war im letzten Jahr schon mit dabei. Sie interessiert vor allem die politische Seite der Aktion.

War die Resonanz auf die Aktion im letzten Jahr eher enttäuschend, sind die Reaktionen in diesem Jahr unterschiedlich. Der 47-jährige Hans-Peter Schmied ist fasziniert: „Man wird mit Sachen konfrontiert, die man sonst hintanstellt.“ Er bleibt länger im Wagen sitzen. Die Schüler Justus und Nicolas, beide zwölf, die beim Plakatemalen geholfen haben, konnten zunächst wenig mit dem Thema anfangen, sagen sie. „Irgendwie geht es um die Befreiung der Juden.“

Ihre Kollegen von der Keppler-Oberschule in Neukölln hingegen nutzen die Situation anders. Weil sich ihr neuer Mitschüler Steve bei seinen hauptsächlich ausländischen Mitschülern durch sein auffällig rechtes Outfit und rechtsextreme Sprüche unbeliebt macht, provozieren ihn die Schulkameraden. „Ausländer, die keine Arbeit haben, haben hier nichts zu suchen“, behauptet der Fünfzehnjährige mit „Lonsdale“-Jacke. Mit seinen Äußerungen ist er bei dem gleichaltrigen Leon, der gerade ein Schülerpraktikum beim SFB macht, genau an den Richtigen geraten: Der Schüler, der selbst Jude ist, hält Steve sein Mikrofon vor die Nase. „Wie würdest du dich fühlen, wenn du in ein fremdes Land hättest flüchten müssen und keine Arbeit hättest?“ Niemand sonst reagiert.

Die Situation von damals hat nicht an Aktualität verloren. Die Inszenierung schuf zwar Distanz, indem sie für alle Mitfahrenden durch die Ansage und die Kostümierung als solche von Anfang an erkennbar war. Die Reaktionen auf sichtbare Diskriminierung und Ausgrenzung aber zeigen, dass „Für Juden verboten“ auch heute noch möglich sein könnte. PETRA MAYER