: Wo Hitler Kellner war
Das Shelbourne, Dublins berühmtes Hotel, strahlt noch heute Exklusivität aus. Hier liebte und lebte einiges an Prominenz und ein schick gemachter, aufgezwirbelter junger Mann names Alois Hitler, Halbbruder des bekannteren Adolf H., bediente
von RALF SOTSCHECK
Wer in der Horseshoe Bar sitzt, will gesehen werden, sofern er nicht selbst auf Prominentenpirsch ist. Die hufeiesenförmige Bar liegt im Erdgeschoss des Shelbourne, Dublins berühmtestem Hotel am St. Stephen’s Green. Das Interieur strahlt Exklusivität aus: viele Spiegel, grüne gepolsterte Bänke, runde Tische mit Messingrand. Auf einem Brett an der Wand ist eine Flasche Magnum Veuve Cliquot dezent angestrahlt, auf der Bar steht ein großer Kübel mit kleinen Sektflaschen. Hinter dem Tresen nehmen die Champagnerflaschen ein ganzes Regal ein. Der fünf Meter hohe Spiegel trägt eine Werbung für „German hock“: Liebfraumilch, nicht gerade die Perle unter den Weinen.
Martin Burke, ein Dubliner Katholik, hatte das Hotel 1824 gegründet. 1866 nach Burkes Tod verkaufte seine Witwe das Hotel an ein Konsortium. Die neuen Besitzer ließen es abreißen und bauten in nur zehn Monaten ein neues Haus im Renaissance-Stil.
Politiker und Schauspieler, Opernsänger und Sportler, Schriftsteller und Unternehmer – alle sind im Shelbourne abgestiegen, wenn sie zu Besuch nach Dublin kamen. Hier begann 1947 auch Graham Greenes Affäre mit der verheirateten US-Amerikanerin Catherine Watson. Sie dauerte 13 Jahre, Greenes Buch „The End of the Affair“ handelt davon.
Der irische Schriftsteller George Moore schrieb 1886 in seinem Roman „Ein Drama in Musselin“ über das Shelbourne Hotel: „Hier spielen sich alle Ereignisse ab: hier leben die Leute, hier sterben sie, hier flirten sie, und – hätte ich beinahe gesagt – hier heiraten sie, aber bisher haben die Shelbourne-Ehen nur Trennung zur Folge gehabt; und hier streiten wir: Freunde von heute sind morgen verfeindet, und dann sitzen sie an entgegengesetzten Enden des Zimmers. Das Leben im Shelbourne ist eine Sache für sich und des Studiums wert.“ Moore hielt sich oft im Shelbourne auf, und es ist durchaus möglich, dass er dort 1910 von einem Kellner mit österreichischem Akzent bedient wurde – von Alois Hitler, dem Halbbruder Adolf Hitlers.
Alois, damals 26 Jahre alt, hatte einen mächtigen Kaiser-Wilhelm- Schnurrbart, war stets modisch gekleidet, dazu trug er eine Goldkette und zwei Ringe, der eine mit einem Diamanten besetzt, der andere mit einem Rubin. Das damals 17-jährige Dubliner Mädchen Bridget Dowling verliebte sich Hals über Kopf in den Ausländer, der sich als österreichischer Hotelier ausgegeben hatte, als sich die beiden bei der Pferdeshow in der Royal Dublin Society trafen. Als sie die Wahrheit herausfand, unterband ihr Vater den Kontakt mit Alois, doch der überredete sie, mit ihm nach London durchzubrennen. Später zog das Paar nach Liverpool, wo ihr Sohn William Patrick zur Welt kam. Bridget Hitler behauptet in ihrer Autobiografie, dass Adolf Hitler von November 1912 bis April 1913 bei seinem Halbbruder in Liverpool gewohnt habe, um dem Wehrdienst zu entgehen, doch Hitler-Experten haben dafür nirgends Hinweise gefunden. Alois, der mit seinem Restaurant in Liverpool Bankrott gemacht hatte, floh vor seinen Gläubigern nach Deutschland. Bridget hörte erst wieder 1920 von ihm: Er sei im Weltkrieg in der Ukraine gefallen, hieß es. In Wahrheit hatte er in Deutschland erneut geheiratet. 1929 holte er seinen inzwischen 18-jährigen Sohn William nach Deutschland.
William bewunderte seinen Onkel Adolf, er ahmte seine Haltung und Bewegungen nach und ließ sich einen Schnauzbart wachsen. Adolf Hitler bot ihm 1938 eine führende Position in seiner Regierung an, wenn er seine britische Staatsbürgerschaft aufgeben würde, doch William dämmerte, dass sein Onkel größenwahnsinnig war. Er ging zurück nach London und wanderte dann mit seiner Mutter Bridget in die USA aus. 1944 kehrte er mit der US-Marine nach Deutschland zurück. Nach dem Krieg ließ er sich mit seiner Frau und den drei Söhnen in Long Island nieder. Seine Mutter starb 1969 im Alter von 78 Jahren, Paddy Hitler lebte noch bis 1987. Seine drei Söhne, die einen anderen Namen angenommen haben, schlossen einen Pakt, dass keiner von ihnen Kinder zeugen würde, damit die Gene des Hitler-Clans mit ihnen sterben.
In der offiziellen Geschichte des Shelbourne-Hotel ist der Hitler-Episode nur eine halbe Seite gewidmet. Er hat das Schicksal des Hotels ja auch nicht beeinflusst, im Gegensatz zu seinem Halbbruder. Während Adolf Hitler und die Nazis Europa verwüsteten, profitierte das Shelbourne Hotel vom Zweiten Weltkrieg. Irland war neutral, und viele reiche Engländer kamen deshalb nach Dublin. Während des Krieges hatte das Shelbourne jedes Jahr einen Anstieg um 6.000 Übernachtungen zu verzeichnen. Darüber hinaus wimmelte es in Dublin, ähnlich wie in Casablanca, nur so von Agenten. „Geheimnisvolle Männer mit versiegelten Lippen und verschlossenen Aktentaschen rannten durchs Foyer und fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf und hinunter“, schrieb die Autorin Elizabeth Bowen in ihrem Buch „The Shelbourne“. Zwar bombardierte die deutsche Luftwaffe „versehentlich“ Dublin, doch das Shelbourne blieb verschont. 1976 wurde es dann doch noch durch eine Bombe schwer beschädigt: Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) hatte einen Anschlag auf das inzwischen einer englischen Kette gehörende Hotel verübt, um sich für den Tod eines IRA-Mannes zu rächen, der in englischer Haft im Hungerstreik gestorben war. Zwanzig Jahre später fand im Shelbourne-Hotel ein Teil der nordirischen Friedensverhandlungen statt, die zum Waffenstillstand und 1998 zum Karfreitagsabkommen führten.
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