: „Die Rhetorik ist anders“
Die französische Finanzexpertin Susan George über Gegenkonzepte zum Neoliberalismus
Interview RALF LEONHARD
taz: Manche Ökonomen glauben, der Neoliberalismus als beherrschende Wirtschaftsideologie befinde sich im Niedergang.
Susan George: Ich wollte, es wäre so. Wir haben ein paar kleinere Gefechte gewonnen: Wir haben das MAI [Multilaterales Investitionsschutzabkommen, das soziale und ökologische Standards als irrelevant erklärt hätte] gestoppt, wir haben das Welthandelstreffen der WTO in Seattle zum Scheitern gebracht und das Weltbank- und IWF-Treffen in Prag um einen Tag verzögert. Aber Weltbank und Währungsfonds haben sich nicht verändert. Die Schulden der armen Länder wurden nicht reduziert, die Finanzmärkte funktionieren genauso wie vorher. Das einzige, was wirklich etwas verändern würde, wäre wohl ein größerer Crash an der Wertpapierbörse.
Dennoch redet man in der Weltbank und im IWF heute anders.
Die Rhetorik hat sich tatsächlich verändert. Keiner sorgt sich mehr um die Armen als Weltbankpräsident James Wolfensohn. Aber er hat sich der beiden Ökonomen entledigt, die die Armutspolitik der Weltbank verändern wollten: Joseph Stiglitz wurde gefeuert, und Ravi Kanbur trat zurück, als man von ihm verlangte, den Entwicklungsbericht der Weltbank zu verändern. Stiglitz wandte sich gegen die Sparkurse, die den Entwicklungsländern verordnet werden.
Die neoliberale Weltwirtschaftsordnung wird viel kritisiert, aber die Vorschläge für machbare Alternativen sind recht mager.
Wieso? Es gibt tausende von Vorschlägen, die nur nicht umgesetzt werden, weil es das internationale Kräfteverhältnis nicht zulässt. Die Tobin-Steuer auf Kapitalexporte wäre ein Vorschlag. Mit dem Steuergeld könnte die WTO so verändert werden, dass Länder, die die Umweltkosten in den Produktpreis einbeziehen und den Arbeitern anständige Bedingungen bieten, belohnt werden – etwa durch Zollvorteile. Derzeit ist es aber so, dass sie bestraft werden, weil ihre Waren zu teuer sind.
Das Gegenteil ist der Fall: Das Investitionsabkommen MAI taucht in neuen Verkleidungen wieder auf. Auch in der EU.
Das stimmt. Derzeit versucht die EU-Kommission, den Artikel 133 der Amsterdamer Verträge zu reformieren. Sie will das Einstimmigkeitsprinzip für alle Handelsabkommen über Dienstleistungen, geistiges Eigentum und Investitionen abschaffen und durch Zweidrittelmehrheit ersetzen. Dann hätten die Staaten kein Vetorecht mehr gegen Abkommen, die es leichter machen, Krankenschwestern aus Jamaica zu importieren und ihnen einen beliebigen Lohn zu zahlen.
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