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Out for Lunch

■ Der Bremer Verlag mirandA-Verlag hat jetzt die Bücher der Punk-Avantgardistin Lydia Lunch auf Deutsch veröffentlicht

Es gibt da einen merkwürdig ergötzlichen Film, in dem Henry Rollins, damals noch mit echter Metaller-Matte, allerdings schon mit aufgeblähter Muskulatur und einigen Tätowierungen, Lydia Lunch durch Berg und Tal verfolgt. Es wird nicht gesprochen. Wie ein Raubtier stampft Rollins durch die Wildnis, bis er sein Opfer in einer Hütte stellt. Es gibt dann, wie in anderen Lunch-Filmen auch, Sex. Manche Leute nennen das pornographisch. Dafür spricht einiges, handelt es sich doch stets um äußerst explizite Darstellungen.

Allerdings sind diese Filme anscheinend doch noch etwas anderes – Statements, und, wie mit Blick auf das Gesamtwerk ersichtlich wird, ist das möglicherweise Pornographische eben nur eine Facette des bizarren ×uvres, zu dem ansonsten noch Musik, Literatur und bildende Kunst gehören.

Das Mitteilungsbedürfnis scheint jedenfalls ausgeprägt zu sein. Sei es eine Kollaboration mit Sonic Youth, ein Spoken Word Album wie ihr neues, „Devil's Racetrack“, ein Beitrag zu einem Tribut-Album für Tom Waits mit dem unbedingt zu entdeckenden Freejazz/Rock-Gitarristen Nels Cline; seien es ein paar weise Worte für den Elektronik-Act Arckon oder eben Romane.

Dank des kleinen Bremer mirandA-Verlags gibt es nun zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen, was uns Frau Lunch zu sagen hat. „Belastende Indizien“ und „Paradoxie – Tagebuch eines Raubtiers“ heißen ihre ersten Bücher, und sie sind in ihren Darstellungen ebenfalls sexuell äußerst explizit, sie sind voller Gewalt, und sie enthalten in kleiner Form, was dem Gesamten zu Eigen ist: Lunchs Geschichten wuchern in alle Richtungen, der Grundton ist dunkel, der Stoff wird ohne Distanz vorgeführt, in einem einzigen autistischen inneren Monolog, voller Widersprüche und Selbstentblößung.

Das Leiden, zu dessen Therapie Lydia Lunch diese Bücher eigenen Aussagen zufolge geschrieben hat – der Missbrauch durch den eigenen Vater, ein selbstmörderisches Leben im Untergrund New Yorks –...  diese Erfahrungen sind unverhüllt autobiographisch. Sie scheinen völlig unreflektiert den Gedankenwust wiederzugeben, der das Ergebnis der ganzen Widersprüche ist. Im gleichen gehetzten Ton sprechen beispielsweise die Figuren in den Romanen Hubert Selbys, der passenderweise das Vorwort für „Paradoxie“ schrieb. Nur bei Selby sind es eben Romanfiguren.

In diesem Sinne sind die beiden Bücher Lydia Lunchs Dokumente, auch einer Szene, in der Typen wie Nick Cave oder Jim G. Thirlwell (Foetus), heute längst veritable Ikonen, noch stürmten und drängten. Da ist die Ästhetik des Punk, Renitenz, Verweigerung, Bürgerschreck. Und da ist eine dementsprechende Kritik an der Gesellschaft, die das Risiko nicht einging, sich ihres rebellischen Schwungs durch Theoriebildung berauben zu lassen. Der Untertitel von „Belastende Tatsachen“ lautet „Tiraden, Monologe, Stücke“. Die Tirade ist die diesem Inhalt angemessene Form.

Lydia Lunch hat Henry Rollins übrigens noch immer an den Hacken: Das nächste Projekt des mirandA-Verlags sind verschiedene Werke des auf eine sicher andere Weise, aber genauso sicher ebenso verschrobenen ehemaligen Sängers von Black Flag. Auch der ist wohl eher ein Gesamtkunstwerk (jetzt isses raus!) als ein großer Schriftsteller. Aber auch diese Selbststilisierung machte und macht eben einen Teil jener Postpunk-Kunst à la Lunch aus.

Andreas Schnell

Lydia Lunch, „Belastende Indizien“ und „Paradoxie – Tagebuch eines Raubtiers“, mirandA-Verlag, Bremen, jeweils 30 Mark.

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