: Gediegen im Labor
Polytonale Klangkaskaden: Das New Yorker Jazz-Trio Medeski, Martin & Wood beeindruckte im Tränenpalast hauptsächlich durch sein gewaltiges Equipment
Der Bassist reist mit leichtem Gepäck. Was sind schon Bass und Bassgitarre von Chris Wood im Vergleich zu dem festungsgleichen und raumfüllenden Aufbau aus Klaviaturen, die sich auf der Bühne stapeln? Wie schafft es John Medeski, seinen dreistöckigen Tastenturm aus Cavinet und Hammond-B 3-Orgel, einem gedrechselten Holzmöbel mit Wohnzimmerausmaßen, samt Wurlitzer-E-Piano und Melotron allabendlich mit sich zu schleppen? Und wie schützt Schlagzeuger und Percussionist Billy Martin seine Klanghölzer, Zimbeln und über die Jahre angehäufte Sammlung diverser Klangwerkzeuge vor Beschädigung und Verlust?
Ungeklärte Fragen. Sicher ist jedoch, dass sich im nicht ganz ausverkauften Tränenpalast knapp 500 Menschen drängen. Und dass an einem Montagabend für 45 Mark Eintritt für ein Orgeltrio. Betreiber Markus Herold strahlt ebenso wie sein rosafarbenes Hemd über die unerwartete Menge an Zahlenden und Trinkenden und geleitet die Journalisten und Fotografen freudig zur VIP-Lounge auf der Empore. An diesem Abend wird nichts ausgelassen. Direkt unter dem Kronleuchter bedient ein Kellner beflissentlich in derLounge, während die Menschen unterhalb ihre Bierflaschen an den Bühnenrand stellen. Eine gediegene Atmosphäre.
Im Gegensatz zu den USA, wo sich die Fans von Medeski, Martin & Wood angeblich nur übers Internet über das nächste Konzert informieren können, um dann zu Tausenden dort zu erscheinen, waren es hier wohl ganz konventionell die unzähligen Vorabartikel, die das Erscheinen dieser Band zum Event hochjubelten: Der neue Jazz, Musik zur Zeit.
Um kurz nach neun kommen drei ungestylte Männer in platt gesessenen Hosen und zerdrückten T-Shirts auf die Bühne und beginnen unmittelbar zu spielen. Ein düsteres Dröhnen erfüllt den Raum, es ist vor allem sehr laut. Wie in einem Labor steht John Medeski inmitten seiner Instrumentenburg, dreht an Verstärkerreglern und spielt mit beiden Händen zwei verschiedene Instrumente gleichzeitig. Dabei hält er intensiven Blickkontakt zu Martin und Wood. Es klingt wie der instrumentale Mittelteil eines Rockkonzerts, bei dem die Musiker endlich Gelegenheit haben, gleichzeitig zu improvisieren.
Die gespannte Erwartung löst sich, als die ersten Akkorde von „Spinning Wheel“ ertönen. Den Wiedererkennungseffekt des Blood-Sweat-&-Tears-Klassikers nutzen die drei auch auf dem Stück „Perdido Alto“ von ihrem neuen Album „The Dropper“. Auch hier wird die Melodie langsam zersetzt und überlagert, um dann in Versatzstücken wieder aufzutauchen. Doch im Tränenpalast bleiben die Stücke richtungslos, sind nicht mehr als polytonale Klangkaskaden. Auch wenn John Medeski sich an den Flügel setzt, um einen Blues zu spielen oder einen Groove, der an den 60er-Jahre-Souljazz von Blue Note erinnert, schafft er keine Intensität. Die Musik bleibt an der Oberfläche und droht sogar kitschig zu werden, wenn die Band sich in konventionell weißer Jazzmanier brav in ihren Soli abwechselt oder mit einem Stück wie „A Go Go“ nur deutlich macht, dass hier die Gitarre von John Scofield fehlt. Irgendwo „on the road“ sehen wir uns wieder, ruft Billy Martin am Ende ins Publikum. Vielleicht hat die Band dann einen besseren Abend.
MAXI SICKERT
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