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Betr.: Gespräch über Weltwirtschaft

An der Schaltkonferenz beteiligten sich aus Davos: George Soros, Manager eines Hedge-Fonds im Halbruhestand; John Ruggie, Mitarbeiter von UN-Generalsekretär Kofi Annan; Mark Malloch Brown, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. Aus Porto Alegre waren dabei: Bernard Cassen, Journalist bei Le Monde diplomatique und Vorsitzender des finanzkritischen Netzwerks Attac; Walden Bello, philippinischer Soziologe; Njoki Njehu, Direktor des US-Netzwerks „50 years is enough“; Hebe de Bonafini, Präsidentin der argentinischen „Mütter der Plaza de Mayo“; Odet Grajew vom Bündnis Brasilianischer Bürger Civis.

Ruggie: Die Dämonisierung einer offenen Weltwirtschaft wäre nicht gut. So weit waren wir schon mal in den Dreißigerjahren. Das hat uns nur Probleme beschert: Chauvinismus, Nationalismus, und eine Menge anderer Sachen, die wir ausdrücklich nicht wollen.

Grajew: Ich möchte trotzdem zuerst mal die Kommentare von Herrn Soros zu folgenden Fakten hören: 1960 lag der Unterschied zwischen dem ärmsten und dem reichsten Viertel der Weltbevölkerung beim Faktor 30. Heute liegt er beim Faktor 84. Außerdem möchte ich Herrn Soros fragen: Erstens, wie viel Geld wird auf den internationalen Finanzmärkten gehandelt? Zweitens, wie viele Schulden haben die Entwicklungsländer zusammen in den letzten 20 Jahren bezahlt? Drittens, wie viele Kinder sterben jeden Tag an Hunger?

Soros: Es sind Billionen von Dollar, die jeden Tag an den Finanzmärkten gehandelt werden, und ich bin sicher, dass es Millionen von Kindern sein müssen, die jeden Tag sterben. Ich weiß die genaue Zahl nicht.

Cassen: Wir haben Ihnen Fragen gestellt und verstehen gut, dass nicht jeder eine Antwort darauf hat, wie hoch das Kapital ist, das jeden Tag in der Welt zirkuliert; über die Zahl der Kinder, die täglich sterben, sie dürfte so bei 20.000 liegen. Aber Sie, meine Herren, ziehen keinerlei Konsequenzen aus dem totalen Misserfolg ihrer Politikansätze.

Brown: Klar gibt es Meinungsunterschiede über offene Volkswirtschaften. Aber es gibt keine Meinungsverschiedenheiten darüber, dass Menschen ärmer werden.

De Bonafini: Meine Herren, Sie sind unsere Feinde. Sie sind heuchlerisch in Ihren Antworten. Antworten Sie, wie viele Kinder werden jeden Tag durch Ihre Pläne, Ihre Politik getötet! Antworten Sie! Sie, meine Herren, sind wie Monster, die alles auffressen, die einen Kopf haben und einen Bauch, aber kein Herz! Herr Soros, mit diesem falschen Gesicht, Sie lächeln, angesichts des Todes von Millionen von Kindern, die verhungern! Antworten Sie doch mal! Sehen Sie mir doch mal ins Gesicht, wenn Sie sich trauen!

Soros: Ich lächle Ihnen ins Gesicht, weil das das Einzige ist, was ich tun kann. Ich versuche, mit Ihnen einen Dialog zu führen. Aber Sie scheinen keinen Dialog mit mir führen zu wollen. Wir können auch aufhören zu reden.

Njehu: Ist die UNO bereit, ihren politischen Einfluss für einen Schuldenerlass ohne Strukturanpassungsprogramme geltend zu machen?

Brown: Die UN haben bekannterweise erst kürzlich in der Millenniums-Deklaration gefordert, dass mehr Schulden erlassen werden müssen. Wir drängen ständig auf einen radikaleren und weiter gehenden Schuldenerlass. Aber die UNO hat schließlich nicht das letzte Wort, in diesem Prozess kommt es auch auf die Regierungen an. Die sind aber nicht bereit, alle Schulden zu erlassen. Sie glauben, dass Ländern, die Geld in die Bildungs- und Gesundsheitssysteme investieren, mehr Schulden erlassen werden sollten als denen, die ebendies nicht tun.

Bello: Mich beunruhigt die Tatsache, dass mit den Unternehmern aus Davos uns auch zwei Vertreter der UNO gegenübersitzen. Ich glaube, dass sich die UNO hier auf erschreckende Weise prostituiert. Und dies zeigt auch, dass sich die UNO unter der Führung von Kofi Annan, in den wir so große Hoffnungen gesetzt hatten, nicht mit den Interessen internationaler Bewegungen verbunden hat. Ich glaube, dass ich für viele Menschen spreche, wenn ich fordere, dass es an der Zeit ist, das Weltwirtschaftsforum abzuschaffen. Es hat seine Zeit gehabt, jetzt ist es nur noch eine Dinosaurier-Veranstaltung und sollte beerdigt werden.

Brown: Walden, ich dachte, du wüsstest es besser, warum die UNO hier in Davos repräsentiert ist. Wir sind von den Organsiatoren eingeladen worden, mit euch darüber zu diskutieren, wie man die Armut bekämpfen kann. Wir sind nicht hier, um Davos zu repräsentieren.

Ruggie: Kofi Annans Besuch hier in Davos war zum Teil sogar eine Herausforderung für die Wirtschaftsvertreter.

Cassen: Sie fragen uns, ob wir konkrete Maßnahmen vorschlagen können, die zu ergreifen sind. Aber ja doch: Zum Beispiel muss man Finanzspekulationen sehr hart besteuern, man muss also eine Tobin-Steuer einführen, und zwar so, dass nicht nur die Finanzstabilität verringert wird – es tut mir Leid für Sie Herr Soros, das wird Sie als Spekulanten arbeitslos machen –, sondern auch, um Summern zu produzieren, die dazu dienen, soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Die zweite Idee, die wir Ihnen vorschlagen, ist die komplette Annullierung der öffentlichen Schulden der Dritten Welt, ganz einfach deshalb, weil diese Schulden bereits mehrmals bezahlt wurden.

Soros: Es mag Sie vielleicht überraschen, aber tatsächlich befürworte ich die Tobin-Steuer. Da gibt es zwar einige technische Schwierigkeiten, aber die Steuer wäre sehr nützlich, um internationalen Institutionen Geld zu verschaffen, die sich globalen öffentlichen Aufgaben verschrieben haben, etwa der Bekämpfung von Krankheiten, der allgemeinen Schuldbildung und so weiter. Die Steuer wäre also gegen mein persönliches Interesse als Spekulant, aber ich glaube, sie läge im allgemeinen Interesse.

Cassen: Ihnen bleibt noch genug Zeit, zum Beispiel eine Petition unterzeichnen zu lassen – entschuldigen Sie mich, diese Methode anzuwenden, die uns vertraut ist. Ich fordere somit Herrn Soros und die Vertreter der UN auf, einen Text abzufassen, der die Annullierung der öffentlichen Schulden der Dritten Welt verlangt, erstens. Zweitens, die Einführung einer Tobin-Steuer. Drittens, ein totales Verbot von Steuerparadiesen, die Sie, Herr Soros, sehr gut kennen, davon bin ich überzeugt. Verfassen Sie diese Petition, legen Sie sie ihren Kollegen vor, den Chefs der Transnationalen, Großfinanziers, Politikern. Wenn es Ihnen gelingt, eine überzeugende Anzahl von Unterschriften zu bekommen, kommen wir zu dem Schluss, dass dieser Dialog fruchtbar ist. Wenn nicht, na ja, dann werden wir gezwungen sein, andere Mittel anzuwenden.

Soros: Wir würden wahrscheinlich nicht allzu viel Unterschriften zusammenbekommen. Aber lassen Sie mich Ihnen noch eins sagen: Auch wenn Sie allen Grund dazu haben: Zorn ist ein schlechter Ratgeber.

Njehu: Wenn es um ökonomische Alternativen geht, davon gibt es eine Menge in Porto Alegre. Ich lade Sie alle ein, das nächste Mal nach Porto Alegre zu kommen.

Arte strahlt das Gespräch am 2. 2., 20.15 Uhr aus. Info: www.madmundo.com

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