Hausfrauenoutsourcing

Körperlos, klangreich, sich verflüchtigend: René Polleschs Heidi Hoh-Hörspiele im Rangfoyer des Schauspielhaus  ■ Von Sven Opitz

Vielleicht haben sogar die Klassiker der Soziologie mit allem angefangen. Seit den Beiträgen von Karl Marx, Emile Durkheim oder Max Weber ist es zumindest nicht ungewöhnlich, Gesellschaft über die Kategorie der Arbeit zu verstehen. Deutet man die Welt nach derartigen Modellen, dann programmiert Arbeit die Konflikte genauso, wie sie Integration organisiert. Von der entlohnten Tätigkeit ausgehend, werden soziale Strukturen konstruiert.

Gegenwärtig stellt sich die Frage, welche grundlegenden Veränderungen ein Wandel der Arbeit herbeiführt: Was passiert, wenn die Produkte der postfordistischen Ökonomie plötzlich aus Wissen und Individualität bestehen? Wenn körperliche Arbeit durch Kommunikationsarbeit ersetzt wird? Außerdem sollte jemand erklären, weshalb Menschen unter solchen Bedingungen mit Vergnügen bis zu 80 Stunden die Woche schuften.

Einen der interessantesten Kommentare zu diesem Themenkom-plex hat letztes Jahr René Pollesch formuliert. Mit seiner Theatersoap world wide web-slums suchte er den kritischen Punkt, an dem soziologische Theorie zu Hochgeschwindigkeitstext mutiert. Während normalerweise die Gesellschaft in Soaps ein florierendes Unternehmen ist, skizzierte www-slums sieben Wochen lang im Schauspielhaus einen sozialen Zusammenbruchsraum. Die Schauspieler waren Stewardessen, die gegen Dienstleistungsberufe revoltierten. Man konsumierte Unmengen an Drogen, um einer deregulierten Wirtschaft deregulierte Gefühle entgegenzusetzen.

Sowohl inhaltlich als auch stilis-tisch knüpft www-slums nahtlos an Polleschs ältere Texte Heidi Hoh und Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr an. Letztere wurden gemeinsam von DeutschlandRadio Berlin, WDR und NDR als Hörspiele produziert. Auch hier geht es um die Angst, vor lauter Virtualität den Kontakt zum eigenen Leben zu verlieren: Heidi Hoh arbeitet von zuhause aus für einen multinationalen Konzern an Dingen, die man nicht sieht. Sie ist Teil einer „Revolution des investierenden Kapitals“, welche neben der bürgerlichen Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre auch jede soziale Dimension aus ihrem Leben entfernt. Heidi Hohs Zuhause ähnelt deshalb immer mehr einem Terminal von DaimlerChrysler, während die Heimarbeit sie unter veränderten Vorzeichen zurück an den Herd gebracht hat – Hausfrauenoutsourcing nennt man das wohl.

René Pollesch praktiziert mit seinen Stücken gewissermaßen eine freundliche Art des Anbietens harter Themen. Das Ergebnis ist jeweils keine Inszenierung von Poptheater, denn Poptheater ist nur eine Methode, mit der das Theater in den letzten Jahren versucht hat, sich zu erneuern. Statt dessen beschreibt Pop die Bedingungen, unter denen sowieso gelebt wird, und die sich deshalb auf die Produktion auswirken. Wie auch Stefan Pucher oder showcase beat le mot studierte Pollesch angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, wo er eine alternative Form des Sprechtheaters entwickelte. In rasendem Tempo verteilt er aggressive Stakkato-Dialoge auf die einzelnen Schauspieler, denen er gleichzeitig verbietet zu schauspielern. Nicht die Darstellung eines Originals ist der angestrebte Zustand, sondern die nackte Existenz. Im Extremfall müssen sich die Figuren dann schonmal sich wie Popcorn selbst in die Luft jagen.

Am Sonntag wird bei der Vorführung der Hörspiele im Schauspielhaus auf den Exzess der Worte kein Exzess der Körper folgen. Wie auch die Banken, die Arbeitsverhältnisse und die Liebesbeziehungen verschwindet ein mögliches, von Menschen gespieltes Theaterstück in der Immaterialität. Außer den Zuschauern wird lediglich der Autor anwesend sein. Und was gilt heute noch, bitte schön, ein Autor.

Sonntag, 21 Uhr, Schauspielhaus