: Der östliche Teil des Mosaiks
■ „Neuer Klub“ will Künstler aus Polen, Tschechien und dem Baltikum vorstellen
Wenn's nach dem Westen ginge, würde er das Attribut „europäisch“ am liebsten für sich behalten. Würde sich einigeln in seiner selbst definierten kulturellen, ökonomischen und ideologischen Identität und am liebsten gar nicht wahrnehmen, dass Europa vor dem Zweiten Weltkrieg wesentlich größer war; die derzeit schwelende EU-Erweiterungsdiskussion beweist es. Und fast scheint es, als hätte der Eiserne Vorhang es doch geschafft: eine spezielle westeuropäische Identität zu schaffen, die säuberlich zwischen westlich (= wegweisend und progressiv) und östlich (= bisschen zurückgeblieben) unterscheidet.
Und genau deshalb haben sich jetzt einige frisch (im Dezember) aus der Hamburger Autorenvereinigung ausgetretene Publizisten, darunter Ex-Stern-Chefredakteur Michael Jürgs, der Autor Jürgen Serke, der Leiter des Altonaer Theaters, Axel Schneider, sowie Beiersdorf-Konzernsprecher Klaus Peter Nebel, der unter anderem eine Dozentur in Riga wahrnimmt, entschlossen, den Neuen Klub ins Leben zu rufen, der sich bewusst in die Nachfolge des 1909 vom Publizisten Kurt Hiller (1885–1972) gegründeten Neuen Clubs stellt: Mit Lesungen, Konzerten, Ausstellungen und Wissenschaftsforen will sich der „Klub in Gründung“ um die Weitung des westeuropäischen Horizonts bemühen, sollen KünstlerInnen aus dem Baltikum, Polen, Tschechien und dem westlichen Russland eingeladen werden.
Denn „es kann nicht sein, dass, was Hitler durch den Wahn ethnisch einheitlicher Gebiete herstellen wollte, noch nach 50 Jahren im Bewusstsein festsitzt“, sagt Serke. Zu allen Zeiten seien die „Sprachsäume“ in den Grenzgebieten kulturell am fruchtbarsten gewesen, „und die vielgestaltige Tradition dieser Gebiete sowie die historische, multinationale Verflechtung der Historie auch in Ostmitteleuropa wollen wir durch unsere Veranstaltungen ins Bewusstsein heben.“
Pazifistisch sei die Idee des Neuen Klubs, zudem integrativ wie Kurt Hiller, der übrigens erstmals die expressionistischen Dichter Georg Heym, Ernst Blass und Jakob von Hoddis öffentlich vorstellte. Als „Provokateur zugunsten des Humanen“ bezeichnet der Neue Klub Hiller, den die Nazis ins KZ Oranienburg zwangen, der aber später über Prag nach England fliehen konnte und sich erst 1955 wieder in Hamburg niederließ.
„Außerdem wollen wir, wie Hiller, den Blick auf das Verhaltene, das aus westeuropäischer Perspektive Unbekannte lenken, um zu zeigen, dass auch der Osten nicht nur aus Metropolen besteht“, sagt Serke. Warum also nicht mal in einer einwöchigen Aktion im Altonaer Theater – dem festen Veranstaltungsort des Neuen Klubs – kleinere, aber mindestens genauso interessante Städte wie Gdansk oder Brno vorstellen, anstatt sich mit der Kenntnis der Metropolen zu begnügen? Und warum sich dabei nicht der beratenden Hilfe des Kuratoriums bedienen, dem unter anderem der tschechische Autor Jiri Grusa, Regisseur Jürgen Flimm, der polnische Schriftsteller Ryszard Krynicki und Helge Adolphsen, Hauptpastor an St. Michaelis, angehören?
Petra Schellen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen