: Ohne Hoffnung
In Indiens Erdbebengebiet haben Verschüttete so gut wie keine Überlebenschance mehr. Aufbausteuer für Gujarat
DELHI/AHMEDABAD dpa/rtr ■ Wegen Plünderungen im westindischen Erdbebengebiet haben die Behörden der Polizei Schießbefehl erteilt. Die Polizisten sollen in der am meisten zerstörten Stadt Bhuj verstärkt Streife gehen und auf jeden schießen, der Häuserruinen plündert. Das berichtete gestern die indische Nachrichtenagentur UNI. Die Bewohner von Bhuj und Umgebung hatten beklagt, dass Banden nicht nur Wertsachen aus Trümmern stehlen, sondern auch Überlebende auf offener Straße mit Waffengewalt ausrauben.
Fünf Tage nach dem schweren Beben bargen Bergungsmannschaften gestern noch eine 55-jährige Frau schwer verletzt aus den Trümmern. Ein Balken hatte ihre Beine zerschmettert, ein anderer Balken lag auf einem ihrer Arme. Neben ihr lag die Leiche ihres Sohnes. Der Frau mussten die Beine und ein Arm amputiert werden. Die Hoffnung, noch weitere Überlebende zu bergen, schwindet drastisch. Der britische Bergungsexperte Mike Thomas sagte, ohne Wasser könnten Menschen nicht fünf Tage überleben. Die Suche nach Überlebenden werde jedoch noch einen Tag fortgesetzt. Aus den Trümmern dringt bereits Leichengeruch.
Die Hilfe richtet sich jetzt zunehmend auf die Versorgung der Überlebenden. Die Größenordnung der Zahl der Toten ist weiter unklar. Die Behörden Gujarats gingen immer noch von 15.000 bis 20.000 Toten aus, während Verteidigungsminister George Fernandes von bis zu 100.000 Toten gesprochen hatte. Innenminister L. K. Advani warf ihm vor, mit überzogenen Schätzungen Panik zu schüren. Bis gestern wurden 8.000 Leichen geborgen.
Zehntausende Menschen werden noch vermissst. An den Bergungsarbeiten beteiligen sich 20.000 Soldaten und viele Helfer aus dem Ausland. Die Weltgesundheitsorganisation wies Befürchtungen zurück, die Toten unter den Trümmern könnten Seuchen auslösen. Die Krematorien in Bhuj arbeiteten rund um die Uhr. Viele Menschen verbrannten ihre toten Angehörigen auf selbst errichteten Scheiterhaufen am Straßenrand.
In Bhuj richteten die Behörden Volksküchen zur Versorgung der Menschen ein. Örtliche Medien berichteten von Rangeleien zwischen Überlebenden, die Nahrungsmittel und Schutz durch die Polizei gefordert hätten. Unterdessen trafen immer mehr Hilfsgüter ein. Rotes Kreuz und Roter Halbmond organisierten eine Luftbrücke ins Katastrophengebiet. Indiens Erzfeind Pakistan schickte mit einem ersten von vier geplanten Hilfsflügen Zelte und Decken nach Gujarat. Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee kündigte eine neue Steuer zum Aufbau der zerstörten Dörfer und Städte an.
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