: Der Löwe auf dem Sprung
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
„Ich werde eine große Koalition gründen“, verspricht Ariel Scharon im Verlauf einer Wahlveranstaltung auf den Golanhöhen. Die ihn begleitenden Reporter zweifeln, hatte doch Ehud Barak, amtierender Regierungschef und sicherer Verlierer der bevorstehenden Wahlen, ein Zusammengehen mit seinem vermutlichen Nachfolger im zweithöchsten Staatsamt ausgeschlossen. Unter dem Gelächter seiner Anhänger fügt er hinzu: „Ich sage es noch mal: Ich werde eine große Koalition gründen.“ Wenn er auch seine Hörer nicht überzeugt – er selbst scheint sich seiner Sache vollkommen sicher zu sein.
Die Einigkeit ist sein Ziel. Ein vereintes Volk ist ein starkes Volk, und Stärke ist, was Ariel Scharon zu bieten hat. Der mit 72 Jahren und trotz 58-prozentiger Kriegsversehrtheit noch immer vor Kraft strotzende „Bulldozer“ demonstriert Entschlossenheit. Mit gut 100 Kilogramm Körpermasse, gebräuntem Gesicht, das zusätzlich geschminkt ist, und legerer brauner Lederjacke tourt er durch das Land, das er in Kürze regieren wird. Noch vor wenigen Monaten nannte ihn ein Parteifreund einen „zahnlosen Löwen“. Kein Zweifel, dass der Mann, der mehr als einmal am Ende seiner Karriere angekommen zu sein schien, ohne den Rückzug von Expremierminister Benjamin Netanjahu nicht die geringsten Chancen auf Erfolg gehabt hätte.
„Man muss die Gegenseite aus dem Gleichgewicht bringen“, kündigt Scharon an, mit Blick auf die Palästinenser. „Ich kann es, ohne Eskalation und ohne Krieg.“ Doch wenn man ihn auf konkrete Pläne im Kampf gegen Terror und gewaltvolle Proteste anspricht, gibt er ungern Auskunft. „Scharon bringt den Frieden“, so lautet schließlich der zentrale Wahlslogan, also nicht: Scharon führt Krieg. Vor ausländischen Journalisten gibt er zögerlich zu, dass er das Abstellen von Wasser und Strom für die Palästinenser erwägen würde, denn das sei letztendlich „immer noch besser, als Kinder zu erschießen“. Vor einem rechten israelischen Publikum spricht er sichtlich weniger zurückhaltend über seine Vorstellungen von „Deeskalation“: Wenn die Schüsse auf die jüdische Siedlung Gilo nicht aufhören, „werde ich die erste Häuserreihe von Beit Dschalla abreißen lassen“. Von dort aus war in den vergangenen Wochen wiederholt auf die Siedler geschossen worden. Und wenn dann immer noch nicht Ruhe ist, „reiße ich die zweite Reihe ab und so weiter“.
Ganz Menschenfreund
Scharons Wahlkampf ist ein Balanceakt. Er will den Frieden bringen, nur soll man ihn nicht fragen, wie. Einerseits will er sich dem Volk als „Mister Security“ und netter Opa verkaufen, andererseits malt die Opposition von ihm das Bild des Kriegstreibers. Er selbst spricht vor idyllischen Landschaftsbildern mit einem über dem Wasser aufsteigenden Vogelschwarm über die blühende Zukunft, die Israel unter seiner Führung bevorsteht. „Er ist so weich und nett, so menschenfreundlich vor allem Kindern gegenüber, dass man Lust bekommt, den Kopf an seine Brust zu drücken“, schreibt der Satiriker Efraim Sidon in der Tageszeitung Ma’ariv über die TV-Kampagne des Likud-Kandidaten.
Das Image, das Scharon zu vermitteln versucht, ist das genaue Gegenteil seines bisherigen Rufes. Immer wieder wird er auf das düsterste Kapitel seiner Karriere angesprochen: auf den Libanonfeldzug. Scharon war damals Verteidigungsminister unter Menachem Begin, der die Invasion befahl, um „dem Terror der PLO ein Ende zu machen“. Ohne Absprache stieß Scharon viel tiefer ins Landesinnere vor, als es Begin geplant hatte. In seinem Beisein massakrierten christliche Milizen hunderte palästinensische Flüchtlinge in Sabra und Schatila. Eine nach dem Krieg einberufene staatliche Untersuchungskommission machte Scharon für das Massaker mitverantwortlich und entschied, dass er das Amt des Verteidigungsministers nicht länger ausüben dürfe. Seine Karriere lag anschließend fast zehn Jahre lang auf Eis. Der linke Friedenspolitiker Schimon Peres, mit dem Scharon seit den frühen 50er-Jahren eng befreundet ist, leitete Scharons politische Rehabilitierung ein, als er ihn ins Kabinett seiner großen Koalition berief.
Als lästig empfindet Scharon die Fragen nach „der Sache, mit der wir nichts zu tun hatten“. In einer Wahlrede vor der israelischen Handelskammer, wo Scharon offene Sympathien genießt, hakt er das Massaker mit einem Satz ab. Damals hätten „christliche Araber muslimische Araber getötet“. Das gehe Israel nichts an. Der Libanonfeldzug sei einer der „berechtigsten aller israelischen Kriege“ gewesen, hatte Scharon wiederholt erklärt. „Ich empfehle, sich an die wahren Verantwortlichen zu wenden.“ Israel habe schon zu Zeiten der Arbeitspartei den Libanon besetzt. Er, Scharon sei es gewesen, der „schon 1982 zum Rückzug aufgerufen“ habe.
Tatsächlich verfolgte Scharon den Abzug aus dem Libanon, nicht zuletzt, um eventuelle Friedensverhandlungen mit Syrien unabhängig vom Kampf der Hisbollah führen zu können. Den „übereilten Abzug Baraks“ jedoch sieht er als Grund für die neue Intifada. Nicht sein eigener Besuch auf dem Tempelberg habe den Volkszorn provoziert: „Bei den Palästinensern ist nach dem Abzug aus dem Südlibanon der Eindruck entstanden, die Hisbollah habe die israelische Armee besiegt und nun könne man es ihnen gleichtun.“
Kein Abzug, keine Komrpomisse
Erst wenn die Unruhen aufhören, will Scharon die Verhandlungen fortsetzen. Vorläufig hält er sich bedeckt darüber, was er Jassir Arafat zu bieten hat. Klar sind lediglich seine Leitlinien: Keine Teilung Jerusalems, kein Abzug aus dem Jordantal und natürlich keine Kompromisse in der Frage des Rückkehrrechts palästinensischer Flüchtlinge. Ferner werde er „keine einzige Siedlung auflösen“. Die von den Palästinensern geforderte territoriale Verbindung zwischen den autonomen Zonen solle „mittels eines Tunnels“ hergestellt werden. Vor Siedlern im Jordantal sprach Scharon zwar von „schmerzlichen Kompromissen“, sagte aber auch: Israel werde darauf verzichten, Städte wie „Jericho und Nablus erneut zu okkupieren“.
Ungeachtet der Härte, mit der Scharon in allen israelischen Kriegen gegen die arabischen Nachbarn kämpfte, und ungeachtet seiner eigenen Reden, genießt der Likud-Kandidat zumindest beim jordanischen König großen Respekt. Nach dem misslungenen Mordattentat des Mossad auf einen führenden Hamas-Aktivisten in Amman war Scharon der einzige israelische Politiker, der sich am Königshaus blicken lassen durfte. Grund dafür war sein Zutun zum israelisch-jordanischen Friedensvertrag. Scharon ist die für die Jordanier günstige Verteilung des Wassers aus dem See Genezareth zu verdanken. Auch die Ägypter unterzeichneten das Friedensabkommen mit Israel nicht ohne Scharons Hilfe. Menachem Begin bekam volle Rückendeckung von seinem Verteidigungsminister, als es darum ging, die gesamte Sinai-Halbinsel an die Ägypter zurückzugeben. Unter Scharon wurde schließlich die jüdische Siedlung Yamit aufgelöst. Dennoch stimmte er nicht für den Friedensvertrag.
Mit der Begründung, dass ein Händedruck im Nahen Osten stets so interpretiert werde, dass man sich einig sei, verweigerte Scharon in Wye seinem Verhandlungspartner Jassir Arafat die Hand. Dessen ungeachtet einigten sich beide Seiten auf eins der wichtigsten israelisch-palästinensischen Abkommen, mit dem sich Israel zum Abzug aus rund 14 Prozent des Westjordanlands verpflichtete. Einen „Lügner und Mörder“ nannte Scharon Arafat im Magazin New Yorker. Das hinderte ihn nicht daran, Arafat beste Wünsche zum muslimischen Fastenmonat Ramadan zu schicken. Für den Frieden, den Scharon verspricht, wird indes ein anderer Partner gesucht, denn – so Scharon im New Yorker – „mit Arafat ist keiner zu machen“.
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