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Die Notwendigkeit des Eiertanzes

Die friedliche Blockade als legitime Protestform war bei den Grünen einst unumstritten. Nun stehen Castor-Transporte an – und jedes Wort wird gewogen

von SEVERIN WEILAND

Es sind nicht nur zwei Kilometer Luftlinie, die die beiden Bündnisgrünen voneinander trennen. Hartwig Berger, der Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus, und Jürgen Trittin, der Bundesumweltminister in seinem Dienstsitz am Alexanderplatz. Berger wird Ende März, Anfang April, wenn die Castor-Behälter aus La Hague wieder nach Gorleben rollen, mit anderen Demonstranten blockieren. „Friedlich und gewaltfrei“, wie der 58-jährige Grüne betont. Trittin dagegen, der den Atomkonsens in der Regierung mitträgt, wird nicht dabei sein. Proteste der Basis hält er für „falsch“, weil man unabhängig vom Atomkonsens den Atommüll aus Frankreich und England zurückzunehmen habe.

Mit Berger und Trittin stehen sich bei den Grünen zwei Prinzipien gegenüber: das Recht der Mitglieder auf zivilen Ungehorsam und das Interesse der grünen Verantwortlichen in Partei, Fraktion und Regierung, sich in der Koalition als verlässlicher Partner zu erweisen. Wie sonst nur Kirchendogmatiker haben die Gremien jedes Wort gewogen und gewendet, bevor es an die Öffentlichkeit ging: Der Parteirat ist gegen Blockaden, die sich gegen „notwendige Transporte“ wenden, und auch die Landesvorsitzenden haben sich, wie die thüringische Landeschefin Astrid Rothe verkündet, am Mittwoch in Berlin darauf verständigt, zu demonstrieren, die Castoren aber eben nicht zu blockieren. Mit dem Prinzip „Ja, aber“ versuchen die Grünen den schmalen Grat zwischen dem Opportunitätsprinzip und der eigenen Tradition zu beschreiten. Schließlich galten und gelten gewaltfreie Blockaden als akzeptables Mittel. Selbst der heutige Bundesinnenminister Otto Schily ließ sich 1983, als er noch bei den Grünen war, von jungen Polizisten bei einer Blockade des Bonner Verteidigungsministeriums wegtragen. Vor zwei Monaten kramte die Gewerkschaft der Polizei das Foto dieses Tages hervor, um es für ein spielerisches Plakatmotiv zu verwenden: „Damals haben wir ihn noch auf Händen getragen“.

Mit dem Rollenwechsel, der einem Schily oder einem Außenminister Joschka Fischer glückte, tun sich andere schwerer. Winfried Hermann, Mitglied der grünen Bundestagsfraktion, würde es heutzutage als „schizophren“ empfinden, wenn er sich wie einst in den 80er-Jahren gegen Nato-Raketen heute gegen Castor-Transporte auf Straße oder Schiene setzen würde. Der 48-Jährige fühlt sich in der Pflicht, hat er doch im vergangenen Jahr den Atomkonsens in der Fraktion mitgetragen. Der 28-jährige Abgeordnete Christian Simmert, der dem linken Flügel zugerechnet wird, hat sich diese Woche mit einer Anti-AKW-Bürgerinitiative in Ahaus getroffen. Abducken, sagt er, sei die völlig falsche Vorgehensweise: „Die Anforderung an die Grünen ist es, die Kritik ebenso auszuhalten wie die verschiedenen friedlichen Protestformen.“

Hat die Blockade, die einst vom Bundesverfassungsgericht als zulässiges Mittel des Protestes anerkannt wurde, also ausgedient? Keineswegs, sagt die niedersächsische Landesvorsitzende Renée Krebs: „Das sollten und werden die Grünen an anderer Stelle auch weiterhin benutzen.“ Nur bei den deutschen Castoren eben nicht, für deren Rücknahme aus Frankreich es „eine moralische Verantwortung gibt“. Selbst eine hart gesottene Kritikerin des Atomkompromisses wie die Hamburger Landesvorsitzende Antje Radcke will keine Blockaden. Radcke steht vor einem Wahlkampf, da ist interner Streit nicht erwünscht. Dass die Partei sich insgesamt mit Beschlüssen zu Blockaden schwer tut, sei auch der von der Union angestoßenen Debatte um Joschka Fischer und Jürgen Trittin geschuldet, glaubt sie: „Manche Erklärung klingt eben so gestelzt, weil man nicht den Verdacht aufkommen lassen möchte, in irgendeiner Form zur Gewalt aufzurufen.“ Ob die Kunst der Formulierungen am Ende helfen wird, wird sich in Gorleben erweisen. Der Berliner Abgeordnete Hartwig Berger sieht den kommenden Protesten in Gorleben mit Spannung entgegen. In dem Augenblick, da die Polizei eine friedliche Blockade mit Gewalt löse, werde sich zeigen, was die Erklärungen dieser Tage wert gewesen sind: „Ich kann nur hoffen, dass die Grünen die Legitimität dieses Protestes auch dann noch verteidigen.“

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