: Hausfrauen gegen die Staatsgewalt
Geschichtsträchtige Feierstunde im Kino Arsenal: Zum 90. Geburtstag des Defa-Regisseurs Kurt Maetzig kamen Armin Mueller-Stahl, Frank Beyer und Eva-Maria Hagen – ideologische Brenzligkeiten wurden freundlicherweise umschifft
Knut Elstermann, moderatester Moderator des Großraums Berlin-Brandenburg, hatte Schwerstarbeit zu leisten. Wie fasst man in knapp zwei Stunden das widersprüchliche filmische Lebenswerk des gerade 90 gewordenen Defa-Regisseurs Kurt Maetzig zusammen, umreißt es angemessen in Ausschnitten und präsentiert die zahlreichen, eigens zur Geburtstagsparty angereisten Überraschungsgäste, die alle auch noch irgendwas von sich geben müssen?
Alles in Butter, keine Misstöne, keinerlei Pannen in dem vom Defa-Experten Ralf Schenk vorbereiteten Abend. Wer sich am 1. Februar auf den Weg zum Arsenal-Kino am Potsdamer Platz gemacht hatte, wollte dem hochbetagten Jubilar sowieso seine aufrichtige Referenz erweisen. Neben zahlreichen bekannten und unbekannten, ehemaligen Defa-Kollegen im Publikum gehörten dazu auch die Promis Günther Reisch, Frank Beyer, Egon Günther und Armin Mueller-Stahl, die nacheinander aufs Podium stiegen.
Sogar Eva-Maria Hagen, sonst äußerst kritisch gegenüber jeglicher DDR-Verklärung, unterdrückte diesmal jede Anspielung und trat gitarrezupfend und singend auf die Bühne. Das war rührend und schön, man gönnte dem alten Herrn die Huldigungen und freute sich mit ihm. Anschließend im Foyer gab’s alte Anekdoten, die entspannte Stimmung setzte sich fort.
Fast schien es, als seien an diesem Ort der neuen Mitte nun das vereinigungsbedingte Ungemach und die Verbitterung über tatsächliche oder eingebildete Ungerechtigkeiten vergessen, als sei nun auch die Defa-Geschichte mit all ihren Protagonisten im Deutschland des Jahres 2001 angekommen. Gut so. Dabei gibt es zum Werk Maetzigs manches anzumerken. In der Feierstunde umschiffte Elstermann die heiklen Stellen allerdings gekonnt.
Die hochstalinistischen Ernst-Thälmann-Epen „Sohn seiner Klasse“ (1954) und „Führer seiner Klasse“ (1955) ließen sich natürlich nicht ignorieren – ein kurzer Ausschnitt ließ sie als pittoreske Entgleisungen erscheinen, denen heute immerhin noch unfreiwilliger Humor abzuringen ist. Tatsächlich sollte man diese Filme wiederentdecken, sie sind mehr als Kuriositäten. Neben dem chinesischen Film „Das rote Frauenbataillon“ und diversen albanischen Erbauungsstreifen gehörten sie in den 70ern zum festen K-Gruppen-Bildungsprogramm und waren in der DDR für jeden Grundschüler Pflicht.
Noch deutlich ist mir der Tag in Erinnerung, als unsere Heimatkundelehrerin den Klassenraum verdunkelte und einen 16-mm-Projektor aufbaute. Wir begeisterten uns vor allem an den Kampfszenen des Hamburger Aufstandes in Maetzigs Thälmann-Film. Hausfrauen warfen Polizisten Blumenkästen und Möbel auf die Köpfe.
Kurt Maetzig hat mit „Roman einer jungen Ehe“ (1952) oder „Die Fahne von Kriwoi Rog“ (1967) weitere Propagandafilme gedreht. Allerdings mit „Das Kaninchen bin ich“ (1965) auch einen waghalsigen Film über die DDR-Justiz. Auf dem berüchtigten 11. Plenum der SED wurde er mit fast der gesamten Defa-Jahresproduktion aus dem Verkehr gezogen. Diese inkriminierten Arbeiten trugen dann die inoffizielle Bezeichnung „Kaninchenfilme“.
Von einer Handschrift kann man in Bezug auf Maetzigs Gesamtwerk nicht sprechen: Er hat sich in den verschiedensten Genres mit jeweils anderen Stilmitteln versucht. Im Ausbürgerungsjahr 1976 entstand mit „Mann gegen Mann“ sein letzter Film. Heute engagiert er sich nach wie vor in der Filmabteilung der Akademie der Künste und ist ein begeisterter Computernutzer. Die weltweite E-Mail-Korrespondenz des 90-Jährigen ist legendär. Folgerichtig machte ihm die Defa-Stiftung nun auch eine eigene Homepage zum Geschenk: www.Kurt-Maetzig.de ist ab sofort abrufbar. CLAUS LÖSER
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