: Magazinitis? – Ohne uns!
Bloß nicht immer Elend und Armut – aber auch nicht nur das Leichte. Wie das taz.mag funktioniert
von JAN FEDDERSEN
„Ihr macht jetzt die Wundertüte der taz.“ Das war im September 1997. Was das heißen sollte, wurde uns nur vage erläutert. Texte jedenfalls sollten in der Wochenendbeilage der taz stehen, die sonst in kein Ressort passen. Die langen Artikel vor allem. Und solche, die schon deshalb aus jeder Wahrnehmung von Aktualität (und damit aus der Zeitung) fallen, weil sie zu abseitig sind. Oder weil zu erläuternd, also zu lang. Nicht richtig auf die Reportageseite passen. Für die „Wahrheit“ nicht genügend Clubappeal haben. Oder überhaupt. Es sollte als Publikationskriterium nicht mehr reichen zu sagen: Zwar kryptisch geschrieben, aber inhaltlich wichtig.
Mehr „Familienprogramm“ sozusagen. So die damalige Chefredakteurin Klaudia Brunst, als TV-Kennerin erfahren genug zu wissen, dass komplizierte Inhalte einen gefälligen Rahmen brauchen, um auch von jenen LeserInnen verstanden zu werden, die nicht gleich in jedem Land der Welt firm sind. Also: Ein Bericht aus einem fernen Land muss so verfasst sein, dass es auch für jemandem, dem alles außerhalb Europas im Grunde gleich ist, interessant zu lesen ist.
Oder anders formuliert: Eine Geschichte über Techno sollte den Müttern und Vätern der Technojünger verständlich machen, warum ihre Kinder die Love Parade mögen und partout keinen schrammeligen Rock aushalten. Insofern ist uns jeder Text willkommen, der eine Geschichte zu erzählen weiß. Der quer oder schräg oder konventionell ist, aber trotzdem eigen.
Das kann das Porträt einer mittelamerikanischen Bäuerin sein, die von den ehemaligen Revolutionären gegen das Militärregime verraten wurde. Oder ein Gespräch zwischen Joachim Gauck und André Brie, PDS-Reformer und einst selbst Informeller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit. Oder über die Unfähigkeit der deutschen Fernsehsender, ebenso witzige wie informative Kochsendungen zu inszenieren, wie es die Briten vermögen. Über den Sozialismus in China und wie er es schafft, auf despotische Weise Anschluss an die bürgerliche Moderne zu gewinnen. Oder über den Charme von Teletubbies. Texte über den Nachhall des griechischen Widerstands gegen die Naziokkupation. Oder über das Wunder des afroamerikanischen Plattenlabels Motown. Oder grüblerische Interviews mit Gefangenen der RAF. Eine gründliche Analyse des „Schwarzbuchs des Kommunismus“, über die sich die Freunde totalitärer Regime noch heute ärgern. Die Fotogeschichte über eine deutsche Fürstin und ihr Familienalbum. Eine Reportage aus der Schweiz über einen Ungarn, dem von seinen Mitbürgern der eidgenössische Pass verweigert wird. Ein komisch-enthüllendes Gespräch mit dem nun pensionierten Fußball-Bundestrainer Erich Ribbeck. Ein beklemmender Bericht über einen Zivildienstleistenden als Pfleger von Menschen, um die sich sonst keiner mehr kümmert. Eine Beobachtung über einen Vormittag bei H & M. Bundeswehrrekruten beim Ponyreiten in den Alpen. Hintergründe über eine Ökokatastrophe an der Küste Alaskas.
Oder oder oder. Texte, die uns selbst gefallen. Sie benötigen mindestens eine Seite, aber wenn wir finden, dass auch sieben Seiten zu einem Thema lohnen, schrecken wir auch vor dieser Lesestrecke nicht zurück. Essays zur sexuellen Befreiung und zur Geschlechterdemokratie. Zur Tugend der Solidarität mit den Schwächeren. Alltagsschnurren, Typologien über Tanten und Onkels. Im Grunde alles. Alles jedenfalls, was interessant sein könnte. Wobei es auf die Mischung ankommt, da sitzt die ehemalige Chefredakteurin bei uns fest im Über-Ich dieses Ressorts. Nie nur die Klassiker des linken, des alternativen Weltbildes. Bloß nicht immer Elend und Armut. Das liest am Ende sowieso keiner. Und nicht nur das Leichte, das Unterhaltsame. Obwohl Leserumfragen uns eher nahe legen, mehr vom guten Leben zu schreiben. Und nicht nur uns damit zu begnügen, die geschätzte „Sättigungsbeilage“ mit dem Weintipp des Monats zu veröffentlichen. Und was uns freut: Ihnen, den LeserInnen, gefällt es.
Niemals Lifestyle
Gelegentlich ist die Mixtur monothematisch angelegt. Olympische Spiele. Das Neue Berlin. Die Liebe. Kinder – und was sie von der Welt erwarten. Polen als Teil Europas. Die Trauer. Die Folgen der NS-Zeit. Weihnachten und der Müll.
Eines würden uns unsere Leser übel nehmen: lifestylige magazinitische Geschichtchen. Kein taz.mag, bei dem sich die Texte der Form anzupassen haben. „Die letzten Fragen“ bleiben die einzige Kolumne. Demnächst wieder im taz.mag.
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