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Ärzte im Aufwind

Schmidt will Kollektivhaftung der Ärzte bei zu hohen Ausgaben abschaffen. Die Krankenkassen warnen vor Mehrausgaben und noch mehr Bürokratie

von BARBARA DRIBBUSCH

Geld drucken kann sie zwar auch nicht. Doch SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat sich bei den Ärzten erst mal beliebt gemacht. Denn im Streit um die Ausgaben der Ärzte hat Schmidt eine neue Runde eingeläutet. Künftig sollen die Ärzte nicht mehr kollektiv dafür haften müssen, wenn die Budgets für die Arzneimittelverordnung überschritten werden. Die Reaktion folgte prompt: Die Ärzte jubelten, die Krankenkassen und die Grünen warnten vor Mehrausgaben.

Mit der Abschaffung des Kollektivregresses sei „eine unserer Kernforderungen erfüllt“, sagte gestern Manfred Richter-Reichhelm, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Bisher unterliegen die Ärzte in jeder der 23 Regionen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) einer Obergrenze für die Kosten der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln. Wird die Obergrenze in einer Region überschritten, müssen die Kosten dieser Überschreitung von der gesamten Ärzteschaft in dieser Region mitgetragen werden. In der Praxis ist es zu dieser Kollektivhaftung allerdings noch nicht gekommen. 4 Regionen, darunter Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, haben zwar im Jahre 1999 ihre Obergrenzen deutlich überzogen. Den Regionen wurde jedoch noch von der alten Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) eine Nachfrist von zwei Jahren eingeräumt, in deren Rahmen sie die überschießenden Kosten durch besonders sparsame Verordnung wieder ausgleichen sollen.

Wie die SPD-Gesundheitsministerin erklärte, solle der Kollektivregress künftig durch Richtgrößen ersetzt werden. Hierbei wird von den regionalen KVen für jede Fachgruppe festgelegt, wie viel Geld im Durchschnitt pro Patient für Arznei- und Heilmittelverordnungen ausgegeben werden darf. Dabei sollen auch Besonderheiten der Praxis berücksichtigt werden. Die Betreuung von Krebs- oder Aidspatienten soll beispielsweise anders gewichtet werden, weil diese Patientengruppen besonders teure und oftmals auch neue Medikamente brauchen. Überschreitet ein Arzt seine Richtgröße, kann er persönlich für die überschießenden Kosten haftbar gemacht werden. Die Kollektivhaftung wird damit durch eine Individualhaftung ersetzt.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte nach einem Treffen mit den Krankenkassen jedoch betont, die bestehende Kollektivhaftung werde erst dann zur Disposition gestellt, wenn gleich wirksame Regelungen verbindlich vereinbart seien. Bisher ist es schon laut Gesetz möglich, dass die regionalen KVen mit den Krankenkassen Richtgrößen für die jeweiligen Fachgruppen aushandeln. In der Praxis bedeute die Entwicklung von Richtgrößen allerdings „einen irren Aufwand“, erklärte Konstanze Küpper, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Auch der Bundesverband der Betriebskrankenkassen warnte vor dem hohen Aufwand bei der Verhandlung von Richtgrößen.

Im Umgang mit der Überschreitung von Arzneimittelbudgets kämen nur Lösungen in Frage, die „nicht zu Mehrbelastungen“ bei den Ausgaben für Arzneimitteln führen, erklärten gestern die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen. In der Praxis würde dies bedeuten, dass die Krankenkassen bei der Festsetzung von Richtgrößen sehr rigide vorgingen. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, betonte, die Stabilität der Beiträge für die Krankenkassen dürfe nicht durch neue Regelungen gefährdet werden.

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