: „Wir sind kein Tacco-Kino“
Am 2. Mai eröffnet das kommunale Kino Babylon in Mitte. Cineasten dürfen sich auf anspruchsvolle Filme in historischem Ambiente freuen. Doch kleine, unabhängige Kinos stöhnen über die Konkurrenz
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Kinos sind bauliche Landschaften des Zeitgeistes. Wer in ein Multiplex geht, muss an den Accessoires der Freizeitgesellschaft vorbei, bevor er in den Saal eintreten darf. Gläserne Fassaden im Stil von Spaßbädern, Palmwedel und Popcorn-, Tacco- und bunte Getränkestände sind Symbole für den Unterhaltungscharakter der großen Filmpaläste. Das ist so lustig wie steril und entspricht der Performance und dem Marketing der neuen Kinos, die in erster Linie den Zuschauer als Konsumenten begreifen – und in dritter Linie als Cineast.
Wer in das renovierte Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz tritt, das am 2. Mai wieder eröffnet, wird nichts von dieser Ikonographie vorfinden. Der für rund 10 Millionen Mark sanierte Bau empfängt den Besucher mit einem Foyer, das die Kinoarchitektur aus den 20er-Jahren hervorgezaubert hat. Hinter dem Eingang öffnet sich eine in Gelb getauchte Halle. Links und rechts führen geschwungene Treppenanlagen zur Empore. In dunklem Rot setzen sich die Türen zu den Technikräumen und Logen ab und zitieren das einstige Farbkonzept der sachlichen Architektursprache, die Hans Poelzig 1929 dort entwickelt hatte.
Die etwas kühle Atmosphäre im Foyer findet auch im neuen Kinosaal ihre Fortsetzung. In Grau und Gelb ist die Wandbespannung gehalten, und rund 450 dunkelgrüne Sitzplätze sind neu installiert. Ein wenig aufgelockert wird der Saal durch den bauchig vorgewölbten Rang, goldene Zierleisten und Deckenlampen – Reste aus jener Zeit, in der das sowjetische Militär das Babylon nutzte und im Stil des stalinistischen Postbarocks überformte. An der Stirnseite spannt sich nun eine große versenkbare Leinwand, hinter der sich die einstige kleine Stummfilmleinwand über einem Orchestergraben erhebt. Auch diese wurde, ebenso wie die alte Poelzig-Orgel, denkmalgerecht renoviert. Sie sollen bei Stummfilmabenden zum Einsatz kommen.
Für Bernd Buder, einen der Programmleiter, bildet das Haus nun einen gelungenen Rahmen für ein kommunales Kino. „Es wird weder einen Popcorn- noch Taccostand bei uns geben. Auch große Plakate sind im Foyer nicht vorgesehen.“ Die pure Architektur aus der Zeit der Filmpaläste sei der Vermittler, mit der man sich hier von den üblichen Kinos und deren Programm absetzen wolle. Das Babylon sei in erster Linie ein kommunales Filmtheater, in dem Veranstaltungen und Reihen für Cineasten stattfinden.
Es hat lange gedauert, bis das Kino gegenüber der Volksbühne in seinem historischen Ambiente wieder spielen konnte. Der 1929 erbaute Saal mit einstmals 1.200 Plätzen, war 1992 wegen Baufälligkeit geschlossen worden. Die Betreiber trennten sich aber weder von dem Ziel der denkmalgerechten Sanierung eines der schönsten Berliner Rangkinos, noch von der Idee cineastischer Werkschauen, etwa von Hitchcock, Visconti oder Eisenstein. Der vom Land mit jährlich 380.000 Mark geförderte Verein Berliner Filmkunsthaus Babylon, neben der Kinemathek das einzige „kommunale Filmkunsthaus“ der Stadt, richtete sich in einem muffigen Kintopp-Provisorium mit 68 Sitzen im Foyer ein. Gern hätte man eher saniert. „Es standen Fördergelder bereit“, so Architekt Joachim Roemer, „allein die ungeklärte eigentumsrechtliche Situation verhinderte einen früheren Umbau.“ Erst 1999 konnten die Besitzansprüche so geklärt werden, dass Subventionen, Kredite und Eigenkapital aktiviert werden konnten. „Es hat sich gelohnt, zu warten und geduldig die Sanierung voranzutreiben“, meint Buder. Die Wiedereröffnung gibt ihm Recht.
Das Kino mit dem großen Saal und dem kleinen 60-Plätze-Studiokino an der Rückseite wird in Mitte und Prenzlauer Berg das Angebot für Cineasten vergrößern. Aber auch die Konkurrenz für die kleinen unabhängigen Lichtspieltheater wächst, die sich mit kinematographischen Programmen schon schwer genug tun gegen das Arsenal oder das Haus der Kulturen der Welt – zwei ebenfalls kommunal geförderte Filmeinrichtungen.
Mit Kritik hat der Yorker von Georg Kloster auf die Subventions- und Bautätigkeit des Landes für die kommunalen Kinos reagiert. Die „Luxussummen“ für deren Kinoausstattung ließen „alle auf eigenes Risiko investierende und arbeitende Kinobetreiber der Stadt, vor Neid erblassen“. Die vier „hoch gerüsteten kommunalen Filmkunsthäuser“ bedeuteten einen Angriff auf die independent Cinemas. Hätte nicht ein Babylon-Saal gereicht?, fragen die Kinomacher rhetorisch.
In der Tat wird das Programm von Arsenal und Babylon die umliegenden Häuser, wie das kleine Central, die Kinos in den Hackeschen Höfen oder das Lichtblick, tangieren, spielen diese doch ähnliche Reihen und Werkschauen. Torsten Frese vom Lichtblick etwa spricht dem Babylon keineswegs die Berechtigung ab, sich für die Filmkunst weiter zu engagieren. Doch der Druck werde sich mit der Eröffnung auf sein Haus erhöhen und „zusätzliche Anstrengungen“ erforderlich machen: Anstrengungen, für oft das Geld fehlt.
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