Wegen „Satchmo“ ins KZ

■ Das ehemalige Swingkid Günter Discher erzählte in Stuhr vom Jazz im „Dritten Reich“. Hinterher bat Deutschlands ältester DJ zum Tanz à la Swingin' Thirties

Synkopen waren in Deutschland verboten, Benny Goodman galt als „Afterkünstler“ ,und für seine Liebe zur Swingmusik konnte man ins KZ kommen. Nachdem die Nationalsozialisten bei der Olympiade 1936 der ganzen Welt gezeigt hatten, wie weltoffen es doch in ihrem Reich zuging, wurde das Land rigoros kulturell „arisiert“.

Die „entartete, verjudete und verniggerte internationale Kulturpest“ sollte ausgerottet werden, die meisten bedeutenden Kulturschaffenden wurden in die Emigration getrieben oder in KZs getötet, und die deutsche Kultur hat sich – etwa beim Film – bis heute nicht von diesem Aderlass erholt. Die Swingmusik ist da ein Sonderfall, denn hier wurden weniger die Künstler verfolgt – viele spielten sogar die gleiche Musik weiter und schmuggelten die Songs von Elligton oder Goodman mit deutschen Titeln in die Tanzsäle – sondern die Fans.

Dieses Wort klingt vielleicht wie ein Anachronismus, passt aber, denn die Swingjugend, die in Berlin und Hamburg nicht nur amerikanischen Jazz liebte, sondern sich auch schick anzog, feuchtfröhliche Parties feierte und versuchte, sich so amerikanisch „cool“ wie nur möglich zu geben, war zumindest in Deutschland die erste Jugendkultur mit eigenem Sprach-, Kleidungs- und Geschmackscode. Damit verneinte sie so radikal die Erziehungsideale der Machthaber („hart wie Kruppstahl“), und war wohl gleichzeitig so attraktiv für ihre Altersgenossen, dass gegen sie extrem hart durchgegriffen wurde. Es waren Jugendliche aus dem Großbürgertum, reiche Kaufmannsöhne, die sich wie Günter Discher eine große Sammlung von englischen Jazzplatten leisten konnten. Die ersten „Halbstarken“ waren keine proletarischen Lederjackenträger wie 1956 die Fans von Bill Hayley, sondern Snobs im feinen Zwirn, und ein wenig merkt man dies Günter Discher auch heute noch an.

Der 1925 geborene Hamburger war jetzt in der KGS-Schule in Stuhr-Brinkum zu Gast. Dort hielt er vor einem altersmäßig sehr gemischten Publikum zuerst einen Vortrag über „Jazz im Nationalsozialismus – Swing Tanzen verboten“.

Sein Vortrag war – anders als angekündigt – nicht mit Dias bebildert, sondern mit vielen Hörbeispielen unterlegt. Eine kluge Entscheidung, denn man kann kaum einen schärferen Kontrast finden als den zwischen einer Hitlerrede und einem Solo von Louis Armstrong. Und auch wenn Discher redete, spürte man diesen Bruch: Liebevoll erzählte er vom Jazz, gab eine kleine historische Einführung, wobei er, wohl wie in seiner Jugend, New Orleans wie Niu Orrlin aussprach, und kam dann zu den Bands von Jack Hylton und Teddy Stauffer, die in den dreißiger Jahren in Deutschland spielten: „Aber für uns waren das Beamtenorchester, wir wollten verrücktere Musik, und das wurde uns zum Verhängnis!“ Die wilderen Töne spielte Louis Armstrong. 1942 wurden mehr als hundert Swingkids von der Gestapo verhaftet, ins Zwischenlager Fuhlsbüttel und schließlich ins Jugendkonzentrationslager Moringen gesteckt. Hiervon erzählte Discher sehr zurückhaltend. Der nette alte Herr wollte die Swingstimmung nicht kaputtmachen. Aber bitter wurde sein Ton, als er darstellte, wie in der Nachkriegszeit die Vergangenheit in Moringen totgeschwiegen wurde, wie man dort erst 1983 anhand der vielen Toten auf dem Friedhof offiziell zugeben musste, das sdie Menschen im Lager systematisch durch Arbeit ausgezehrt und totgehungert wurden. Und all das für die Liebe zur Swingmusik? Es war schwer, diese beiden Weltbilder zu vereinen – Discher selber gebrauchte das Wort „schizophren“. Gerade deshalb ging dieser Vortrag so unter die Haut. Danach wurden die Stühle beseite gerückt, und es wurde nett getanzt. Günter Discher legte als der „älteste DJ der BRD“ Platten aus seiner inzwischen wieder riesigen Sammlung auf. Aber man bekam es nicht aus dem Sinn, dass solch ein Tanzvergnügen vor sechzig Jahren lebensgefährlich gewesen wäre.

Wilfried Hippen