: Schonzeit für Plüschtiere
Die Siege von Martina Glagow und Ricco Groß zum Auftakt der Biathlon-Weltmeisterschaft im fernen Sibirien lassen vor allem den in die Kritik geratenen Männertrainer Frank Ullrich ein wenig aufatmen
von KATHRIN ZEILMANN
Natürlich hat sich Frank Ullrich erst einmal gefreut. Sogar gerührt war er, hat sich die Sonnenbrille aufgesetzt, damit niemand sehen konnte, wie er ein paar Tränen vergossen hatte. Sein Schützling Ricco Groß hatte bei der Biathlon-Weltmeisterschaft im sibirischen Chanty-Mansijsk erst Silber im Sprint und dann Gold in der Verfolgung gewonnen. Doch man darf getrost vermuten, dass Frank Ullrich, Trainer der deutschen Biathleten, auch Genugtuung empfunden hat. Abgesehen von den alpinen Skirennläufern und den bei der nordischen Ski-WM in ein Leistungstief geratenen Skispringern hat Ullrich im Kreis der deutschen Skisportler in diesem Winter wohl die meiste Kritik einstecken müssen.
Der Nachwuchs sei nicht in das Weltcup-Team integriert worden, auf die routinierten und schon über 30 Jahre alten Mannschaftsmitglieder sei nur noch sporadisch Verlass, das Technikerteam arbeite falsch. Sogar Ullrichs Trainerposten wurde in Frage gestellt, die Verantwortlichen des Deutschen Skiverbandes (DSV) mahnten den Trainer öffentlich. Dieser verwies auf den Formaufbau, der in diesem Winter auf die WM gerichtet sei. Biathlon sei nun einmal ein Ausdauersport, und es sei gar nicht möglich, dass ein Athlet den ganzen Winter durch Höchstleistungen abrufen könne. Betrachtet man die bis dato eingefahrenen WM-Ergebnisse, so hat Ullrich wohl Recht gehabt. Er weiß, dass in der Öffentlichkeit eine Medaille bei einem Großereignis weit mehr Aufmerksamkeit erregt als stetige Topplatzierungen im Weltcup. Und dass auch von den Sportlern selbst Edelmetall mehr geschätzt wird als die niedlichen Plüschtiere, die es bei Podiumsplätzen im Weltcup gibt.
„Natürlich wäre es schön gewesen, wenn wir bei einigen Weltcups besser gewesen wären“, sagt Ullrich. Und die Debatte um den Nachwuchs? Da habe man schon eine nicht ganz einfache Situation, meint er. In der Tat, blickt man ins Lager der deutschen Biathletinnen, so hat Trainer Uwe Müßiggang eine Reihe junger Talente in den Reihen. Mehr noch: Eine erst 23-Jährige, Martina Glagow, führt nicht nur die Weltcup-Gesamtwertung an, sondern gewann auch Gold im Verfolgungsrennen in Chanty-Mansijsk. Eine Kati Wilhelm, die erst 1998 vom Langlauf zum Biathlon gewechselt ist, hat mittlerweile zwei olympische Goldmedaillen vorzuweisen. Eine Simone Denkinger hat den Wandel von der erfolgreichen Juniorin zur zuverlässigen Weltcupstarterin fast mühelos vollzogen.
Die jungen Biathleten dagegen tun sich schwer. Der hoch gelobte Michael Greis etwa hat das Gewehr – zumindest vorerst – abgeschnallt und versucht sich bei den Langläufern in den Sprints. „Das mag manchmal ganz sinnvoll sein und hilft fürs Selbstvertrauen“, sagte Ullrich zu dieser Flucht. Und klang ein wenig ratlos. Jetzt, in diesen erfolgreichen WM-Tagen, hört sich Ullrich wieder selbstbewusster und optimistischer an. „Langfristig gibt es doch überhaupt keine Alternative. Junge Burschen müssen ins Team integriert werden. Aber sie müssen Leistung anbieten und noch viel lernen“, erklärt er.
Kurzfristig gesehen, muss Ullrich sich mit seiner Mannschaft nun auf das 20-km-Rennen am Mittwoch vorbereiten. Im sibirischen Schnee und Eis hat zumindest Ricco Groß Grund zur Gelassenheit, seine Ziele hat er bereits mehr als erreicht. „Ich kann da jetzt locker reingehen. Aber die ganze Mannschaft ist gut drauf, die Konkurrenz ist ein bisschen verunsichert“, sagt er. Martina Glagow indes, die zierliche Mittenwalderin, die zwischen der markant-bayerisch wirkenden Uschi Disl und der rothaarigen Kati Wilhelm, die auch gern mal im glitzernden Abendkleid für Fotostrecken posiert, ein wenig den Eindruck eines Mauerblümchens erweckt, will im heutigen 15-km-Rennen noch einmal beweisen, dass sie zu Recht das gelbe Trikot der Weltcupbesten trägt: „Ich will die Rennen jetzt noch voll konzentriert angehen.“ Und in der Staffel am Donnerstag starten. Es tut nach wie vor ein bisschen weh, dass sie im vergangenen Jahr nicht zum Gold-Quartett bei Olympia gehörte. „Das ist immer noch schade“, sagt sie, „aber jetzt bringe ich meine Leistung und will alle Chancen nutzen.“
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