Kinder zweiter Klasse

Bildungssenator Rudolf Lange verspricht Kita-Plätze für alle – nur nicht für Arme. Deren Kita-Förderung darf nicht vielfach teurer als die Sozialhilfe sein

Der Streit um das Kita-Gutscheinsystem hat gestern einen neuen Höhepunkt erreicht. Daran interessiert, den kippelnden FDP-Bildungssenator zu halten, ließen Springer-Medien Rudolf Lange sagen, dass alles gut wird. Bis zum Herbst 2005 werde es „Kita-Plätze für alle!“ geben, erklärte Lange in der Bild. Jeder Antragsteller solle bis dahin einen Gutschein erhalten.

„Einen Schub“ bei der Versorgung könne es im Januar geben, wenn die Übergangsregelungen enden und Kinder von Sozialhilfeempfängern nur noch vier Stunden bleiben dürfen. „Wer zu Hause ist und nichts zu tun hat, kann auch auf seine Kinder aufpassen, um die Stadt zu entlasten“, sagt Lange. Sonst würden Kinder auf 800 Euro teuren Kita-Plätzen mit einem Vielfachen der Sozialhilfe gefördert.

Eine Logik, die – auf das Schulsystem übertragen – hieße, dass Sozialhilfeempfängerkinder nach der vierten Stunde gehen müssen, weil ein ganzer Schultag für sie zu teuer ist. „Bildung und Erziehung dürfen nicht kurzsichtigen kaufmännischen Rechenaufgaben untergeordnet werden“, kritisiert denn auch die Landespastorin Annegrethe Stoltenberg. Gerade für Kinder aus Familien, die wenig Anregungen bieten können, seien die Lernanreize einer Kita wichtig. „Der Senat verspricht Kitas für alle, aber nicht für Arme“, kritisiert auch GAL-Politikerin Christa Goetsch und fragt: „Gibt es jetzt offiziell Kinder erster und zweiter Klasse? Bestimmt der familiäre Hintergrund, welches Kind welche öffentliche Förderung verdient?“

„12.000 Kinder erwartet zu Weihnachten eine besondere Bescherung: Sie verlieren ihren Kita-Platz“, kritisiert auch SPD-Politiker Thomas Böwer, der allerdings davon überzeugt ist, dass Lange nur „blufft, um Ruhe zu haben“ und die versprochene Vollversorgung nicht kommt.

Denn auch diese sozialen Bosheiten reichten nicht aus, um das Millionenloch zu schließen, das sich in 2004 und 2005 im Kita-Etat auftut. Wie berichtet, ist in der Finanzplanung wegen eines prognostizierten, aber bislang so nicht eingetroffenen Geburtenrückgangs eine Etatsenkung um 12,5 Millionen Euro vorgesehen. Zusätzlich, so hat Böwer errechnet, gibt es im Haushalt ab 2004 eine Lücke von weit über 30 Millionen Euro für nicht gegenfinanzierte Pflegesatzerhöhungen und die abgesenkten Elternbeiträge. Ohne richtig viel zusätzliches Geld sei daher eine Vollversorgung unrealistisch: „Nötig wären 60 bis 70 Millionen Euro und ein Ausbauprogramm, das dafür sorgt, dass neue Kita-Plätze auch entstehen.“

Doch Letzteres ist laut Lange kein Problem. Seit dem Start seines Gutscheinsystems, so erklärte er vorige Woche, hätten über 100 Kitas ihr Angebot erweitert oder neu eröffnet. Eine Aussage, der Böwer wiederum misstraut, weshalb er in einer kleinen Anfrage wissen will, wie diese Kitas heißen. KAIJA KUTTER