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Bremen gibt es wirklich

Etwas Besseres als den Tod findet man derzeit an der Weser überall: Mit dem Projekt „Niemand ist eine Insel“ setzt die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst kleine, feine Zeichen in der Hansestadt. Sozial engagiert sind diese Kunstwerke, kritisch und leise bis an die Grenze der Wahrnehmbarkeit

von BENNO SCHIRRMEISTER

Den Kicker hat Alex dummerweise demontiert, aus Platzmangel, wie er sagt. Und manchmal lässt der Wirt auch Airbrush-Maler ihre Fantasy-Bilder aufhängen. Dafür gibt es aber die Erdnuss-Flips im „Hart Backbord“ gratis, und es läuft die gute alte Musik. Die Eckkneipe in Walle ist unprätentiös wie der Bremer Stadtteil selbst: Arbeiter, türkische Großfamilien, WGs, Kleinbürgerhäuschen und drei Puffs, alles dicht beisammen. Soziale Spannungen – ja, aber keine massiven. Ein kunstferner Ort.

Und doch: Die Bierfilze wirken so anders. Tiefschwarz sind sie, kreisrund, und in gelben Großbuchstaben ist am Rand notiert: „etwas Besseres als den Tod findest du überall“. Das lässt innehalten. Den Schaum vom Mund gewischt, die Pappe gewendet. Die Fortsetzung macht die Quellenangabe dann fast überflüssig: „und wenn wir zusammen musizieren, so muss es eine Art haben“ – klar, das ist aus den „Stadtmusikanten“, dafür muss die Erläuterung im Zentrum nicht studiert werden. Die Untersetzer seien ein Projekt von Jeremy Deller, heißt’s weiter, „im Rahmen von ‚Niemand ist eine Insel‘ “.

Das ist erneut ein Zitat: „No man is an island“ ist aus John Donnes „Meditation XVII“: Renaissance-Reflexionen über den letalen Zusammenhang der „mankind“. In Bremen dient es als Makro-Titel für 16 von der Gesellschaft für Aktuelle Kunst initiierte Projekte. Und Deller, 1966 geboren, ist hierzulande zwar unbekannt, aber in der Londoner Szene ein fester Begriff: Einzelausstellungen in Norwich, auch im Musée d’Art Moderne, Paris.

Der Bierdeckel wäre also Kunst, wenn auch hart an der Grenze zum Läppischen. Mein Gott, ein Bierdeckel! Aber das Memento hat einen denn doch gepackt. Weil es so unverhofft auftritt, brüsk, aber doch so still. Und das vielzehntausendfach in den Kneipen der Stadt verteilt – das Werk ist die Summe der Eindrücke, die es hervorruft.

Ein Netzwerk mit heterogenen Knotenpunkten: Die Beschreibung passt auch aufs Gesamtvorhaben. Das beeindruckt durch Vielfalt, einen ausgesprochen antirepräsentativen Zug und den Mut auch zum möglichen Scheitern. Kooperativ sind nämlich alle 16 Projekte, angewiesen aufs Zusammenspiel mit Partnern, Zuschauern, Behörden. Und Interaktion heißt Risiko. So sorgten die Botschaften, mit denen der Austroamerikaner Rainer Ganahl öffentliche Wände fliest, für Aufruhr. Die Schriftzeichen dieser in Kacheln gebrannten „Irak Dialoge“ nämlich waren arabisch. Suspekt. „Nein dem Terror“ soll da stehen? Kann ja jeder sagen. Erst einmal die Genehmigung entziehen.

Bei „Niemand ist eine Insel“ wirken lokale Größen neben internationalen Künstlern. Da gibt’s eine bunte Schriftskulptur vorm Dom, eine sozial engagierte Internetplattform, eine Flugblattaktion in der Fußgängerzone und Biotope: In einem Seitenarm der Weser schwimmt eine Netzkonstruktion, befüllt mit Muscheln und Jungkarpfen. Am Ende werden die Fische gegessen: „Farming The City“ titelt das Projekt. Ehrensache, dass zum Abschluss die Baupläne für die „Small Fish Farm“ genauso der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden wie die der schlauchartigen „Planting Modules“, aus denen auf Hundepisshöhe Basilikum und Schnittlauch grün auf den Trottoirs ersprießt: Die skandinavische Künstlergruppe 55k begibt sich, in bester Kollektivtradition, ihrer Urheberrechte. Führt denn der Weg in die Zukunft notwendig über die 70er-Jahre? Die Rückgriffe sind offensichtlich, aber deutlich auch die Unterschiede. Etwa im Tonfall: stets unspektakulär, aber eindringlich da, wo das Konzept aufgeht. Da sein, irritieren. Aber nicht stören.

Begünstigt scheint dieser diskrete Charme gerade durch das prekäre Image der Stadt: Jenseits Europas nur ein unerreichbarer Ort in Grimms Märchen, in Deutschland belächelter Zwergstaat mit Riesenschulden, intern geprägt durch hanseatisches Understatement, ist Bremen nicht der Platz, künstlerische Anliegen überfallartig vorzutragen. Und umgekehrt kein Ort, der sich zur Darstellung anbietet: Die schärfste Pointe des Gesamtprojekts besteht deshalb darin, das durch Mythen mehr als durch Realitäten geprägte Bild der Stadt als Vorlage zu geben.

Tief in dieser Schicht geschürft haben André Korpys und Markus Löffler. Mit „Etagentraum“ präsentiert das Duo die naturalistische Nachbildung des Kopfes von Sigmund Freud im legendenschwangeren Bremer Bleikeller: Dessen Raumklima verhindert die Verwesung dort inhumierter Leichen. Freud soll, nach einem Besuch der morbiden Sehenswürdigkeit und geplagt von Vatermordträumen seines Begleiters Carl Gustav Jung 1909, in Ohnmacht gefallen sein. In seinen Briefen sublimiert er das Ereignis ganz kräftig. Jung jedoch erzählt’s in seinen Erinnerungen ganz süffisant und deutet Freuds Deutung als ein letztes Aufbäumen Freuds gegen die angebliche wissenschaftliche Wahrheit des kollektiven Unterbewussten. In einem Glaskubus schwimmt nun das abgeschlagene Haupt in wässriger Lösung. Ähnlich einem Präparat des Kopfes einer Massenmörderin, ganz wie anno 1831. Und wie eine Insel, ein Eisberg vielleicht, mit den übrigen Projekten verbunden zum Archipel. Anekdotisches, Legende, Geschichte überlagern einander. Je dichter aber sich die Erzählungen verknüpfen, desto mehr transformieren sie den Raum: Vielleicht sind erst sie es, die ihm Realität verleihen. Dann gäbe es Bremen wirklich. Und besser als der Tod wäre es allemal.

Info: www.niemand-ist-eine-insel.de

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